Die traditionellen Böhmischen Tage, ein Veranstaltungswochenende der Aktionsgemeinschaft Babelsberg e.V. in Kooperation mit vielen weiteren lokalen Initiativen, finden auch in diesem Jahr wieder statt. Mit dabei ist auch die Geschichtswerkstatt Rotes Nowawes mit eigenen Beiträgen. Unter dem Konzept „Junges Grün & Bunte Vielfalt“ stehen die Böhmischen Tage am Wochenende des 11. und 12. Juni dieses Mal mit einer ökologischen Komponente im Mittelpunkt.
Die Geschichtswerkstatt Rotes Nowawes bietet am Samstag, den 11. Juni, um 11 Uhr und um 14 Uhr Stadtrundgänge unter dem Titel „Mineralwasser – Seidenstrümpfe – Schallplatte“ zum vergessenen Gewerbe im alten Nowawes an. Treffpunkt ist vor dem AWO Kulturhaus. Am Sonntag, den 12. Juni, gibt es geführte Fahrradtouren ab 11 Uhr und 14 Uhr unter dem Titel „Uff ‘ne Molle und een Korn“ zu den alten Arbeiterkneipen in Nowawes. Treffpunkt ist ebenfalls das AWO Kulturhaus. Alle Touren sind kostenlos.
In Kooperation zwischen dem Bertha-von-Suttner-Gymnasium und der CULTUS UG/ freiLand Potsdam ist in den letzten Jahren eine tolle Recherche zu Zwangsarbeit bei den Arado Flugzeugswerken entstanden.
Vor über 100 Jahren entstanden nach einem Aufruf in der „Roten Fahne“ die ersten Rote-Hilfe-Komitees als eine überregionale Solidaritätsstruktur. Mit ihr sollte die Solidarität für verfolgte Aktivist:innen aus der gesamten Arbeiter:innenbewegung durch materielle Unterstützung für die politischen Gefangenen und ihre Familien, aber auch durch die Übernahme von Kosten für Anwält:innen, gewährleistet werden. Aus den Rote-Hilfe-Komitees entwickelte sich ab 1924 die Rote Hilfe Deutschland (RHD), einer der größten und aktivsten Massenorganisationen der Arbeiter:innenbewegung.
Der Historiker Dr. Nick Brauns berichtet aus der Solidaritätsarbeit der Rote-Hilfe-Komitees und der RHD in der Weimarer Republik bis hin zur illegalen antifaschistischen Arbeit während der Zeit des Nationalsozialismus. Dabei versuchen wir auch einen Fokus auf die damaligen lokalen Strukturen der RHD in Potsdam und vor allem im proletarisch geprägten Nowawes zu geben. Eintritt frei, aber Spenden für Hans-Litten-Archiv. Rauchfrei während der Veranstaltung. Beginn um 19:30 Uhr in der Stadtteilkneipe Nowawes.
Mittwoch, 08.06.2022, 19:30 Uhr in der Stadtteilkneipe Nowawes
Die Landeshauptstadt Potsdam lädt zur Verlegung von 16 Stolpersteinen an zwölf verschiedenen Orten am 19. Mai 2022 ein. Der Künstler Gunter Demnig wird persönlich die Verlegung vornehmen und damit ein weiteres wichtiges Zeichen im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus setzen. Unter den Initiatoren ist auch die Geschichtswerkstatt Rotes Nowawes, die sich besonders für die Stolpersteine von Hermann Maaß, Walter Klausch, Erika Lövin, Walter Klausch, Johanna und Fritz Abraham sowie Wilhelm Marquardt.
Aus der Geschichtswerkstatt Rotes Nowawes heraus haben wir unter anderem ein Augenmerk auf:
gegen 13.00 Uhr Hermann Maaß (Hermann-Maaß-Str. 34) – in Zusammenarbeit mit der Geschichtskommission der SPD Brandenburg
Grußwort: Dr. Manja Schüle, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kulur, Land Brandenburg
Gedenkworte: Prof. Johannes Tuchel, Leiter Gedenkstädte Deutscher Widerstand.
gegen 14.15 Uhr Walter Klausch, Erika Lövin, Johanna und Fritz Abraham (Neue Str. 3, Garnstr. 4) Treffpunkt Neue Str./Ecke Alt Nowawes
Grußwort: Monique Tinney, Vorsitzende des Kulturausschusses der Stadtverordnetenversammlung Potsdam
Gedenkworte: Dr. Uwe Klett, Geschichtswerkstatt Rotes Nowawes, erwartet werden auch die Nichte von Walter Klausch und der Neffe von Erika Lövin
Wir laden alle Interessierten zu den jeweiligen Stolpersteinverlegungen ein. Alle Informationen, auch zu den anderen Verlegungen, gibt es in der beigefügten Einladung der Landeshauptstadt Potsdam.
In Kooperation mit den Gruppen EAP, Buchladen Sputnik und der VVN-BdA Potsdam hat die Geschichtswerkstatt Rotes Nowawes am gestrigen 8. Mai nicht nur dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus gedacht, sondern das Datum als Anlass genommen, um Walter Klausch zu ehren. Walter Klausch hatte am 8. Mai seinen 115. Geburtstag und so sollte zu diesem Tag ein Zusatzschild an der nach ihm benannten Straße in Babelsberg angebracht werden. Dies konnte aufgrund von logistischen Problemen seitens der Landeshauptstadt Potsdam zwar noch nicht geschehen, wird aber zeitnah nachgeholt werden. So ging es von der Straßenecke zum Familiengrab von Walter Klausch auf dem nahen Friedhof und anschließend zum Heidehaus. Die zahlreichen Teilnehmenden bekamen Informationen zum Leben von Walter Klausch und debattierten über neue Formen der Erinnerungs- und Gedenkpolitik.
Die Geschichtswerkstatt Rotes Nowawes hat zusammen mit der VVN-BdA Potsdam eine Anfrage an die Landeshauptstadt Potsdam gesucht, um zu erörtern, inwieweit ein Gebäude an der Ecke Fritz-Zubeil-Straße/Konsumhof bezüglich seiner Geschichte im Kontext der NS-Zwangsarbeit weiter zu untersuchen und gegebenenfalls unter Schutz zu stellen ist. Auf dem Gelände eines ehemaligen Gebrauchtwagenhandels steht eine Baracke, die auf einem Lageplan des ehemaligen Rüstungsbetriebes als „Küche für Ausländer“ deklariert ist. Auch die Potsdamer Neuesten Nachrichten hatten über unseren Brief berichtet. Anbei der offene Brief.
Ob sie wohl gelingen wird, war so manchem Pädagogen und Politiker am Sonntag, dem 23.4.1922 noch nicht klar. Als die Schüler das Gebäude der bisherigen 5. Gemeindeschule betraten,wusste sie kaum, dass nun nicht nur ein neues Schülerdasein begann, sondern sich dieses auch erheblich unterschied von dem ihrer Altersgenossen. Aber nicht nur für die Nowaweser war dies eine bildungspolitische Zeitenwende. Schließlich war man hier in Nowawes (seit 1938 Babelsberg, seit 1939 Potsdam-Babelsberg) die erste, jener amtlich „Sammelschulen“ genannten Volksschulen mit Lebenskunde- statt Religionsunterricht in der gesamten Provinz Brandenburg, jenseits der Reichshauptstadt Berlin.
Aber warum gerade hier in dieser 25.000 Seelen Gemeinde, die mit ihren Textilfabriken und ihrer Lokomivfabrik doch so anders war als die konservativ-monarchistisch geprägte Militär- und Beamtenstadt Potsdam auf der anderen Seite der Havel?
Schon in der Kaiserzeit entwickelte sich bei der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft im Dunstkreis des Freidenkertums eine starke emanzipatorische Strömung der Kirchenaustrittsbewegung. War bis hinein in das Familienleben der zumeist sehr armen Weber und Industriearbeiter die evangelische Friedrichskirchgemeinde (Nowawes) und Bethlehemkirchgemeinde (Neuendorf) prägend für den soziokulturellen Zusammenhalt, so brach sich insbesondere nach Aufhebung der Sozialistengesetze der freiheitlich Anspruch auf weltanschauliche Selbstbestimmung in der Nowaweser Sozialdemokratie und ihren Organisationen Bann. Dabei ging es nicht nur und nicht immer um die Ablehnung jeglicher Religion, sondern v.a. auch die Brechung der Dominanz der preußischen Staatskirche bei der Alltagsbewältigung des Arbeiterlebens. So wurden Taufen in der stark politisierten Arbeiterschaft während und erst recht nach dem 1. Weltkrieg immer seltener. Bekanntlich gab es bis zur Revolution 1918/1919 keinerlei Schulangebot jenseits der tradierten Volksschule evangelischer Prägung in Nowawes.
Mit dem Weimarer Schulkompromiss vom August 1919 sollte sich die bildungspolitische Situation für die Vielzahl von „Dissidenten“-Familien auch in Nowawes ändern. Auch dort wurde die Möglichkeit eröffnet, Kinder aus diesen Familien in eigenständigen Schulen zu „sammeln“ (daher Sammelschule), die radikal die Trennung von Kirche und Staat in der Schullandschaft vollzogen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass letztendlich nur ca. 20% der Nowaweser Bildungshungrigen durch die Entscheidung ihrer Eltern, die weitestgehend dem sozialdemokratisch-sozialistisch-kommunistischen Arbeitermilieus entstammten, die Chance bekamen, eine neue Art von Pädagogik zu erleben. Der größere Teil der Kinder aber blieb der Bildungsweg in den „normalen“, weiteren 4 Volksschulen – getrennt nach Mädchen und Jungen – mit obligaten Religionsunterricht vorbehalten.
Aber warum begann das radikale Bildungexperiment „Weltliche Schule“ gerade in Nowawes und dann noch als erstes in ganz Brandenburg?
Schüler*innen der Weltlichen Schule mit Lehrer Richard Schaffrath 1931; Slg. Klett
Die unübersehbare „Affinität“ vieler Elternhäuser (zumeist der Väter als Familienvorstände) zum Weltlichen alleine wäre nicht ausreichend gewesen, eine Weltliche Schule auf den Weg zu bringen.
Als Katalysator kam sowohl die Berlinnähe als auch eine besondere politische Konstellation in der nachrevolutionären Zeit in der Gemeinde hinzu. Nowawes, bis 1939 zum Landkreis Teltow gehörig (und damit politisch-administrativ völlig von Potsdam getrennt) hatte immer schon eine starke Berlinausrichtung. Man las in den sozialdemokratisch orientierten Arbeiterkreisen eher den Berliner „Vorwärts“, als die „Brandenburgische Zeitung“und war parteipolitische bis 1920 direkt mit den“Aufmüpfigen“ aus Neukölln und Schöneberg in einem Wahlkreis verbunden. Der Einfluss der dortigen Schulreformbewegung wird auch bei einem kleinen Teil der Nowaweser Lehrerschaft Spuren hinterlassen habe. Einige der späteren Lehrer der Weltlichen Schule haben auch in Berlin ihre ersten pädagogischen Sporen verdient.
Darüber hinaus kam es in Nowawes fast im Einklang zur Reichshauptstadt zu einem merklichen Aufbegehren gegen den Krieg und den Hunger auf den Straßen und in den Familien der Industriearbeiter. Streikwellen 1917 und 1918, die von Berlin ausgingen, erfassten auch schnell das schon damals „Rote Nowawes“. Die Etablierung einer neuen sozialdemokratisch-revolutionären Friedenspartei, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), ab April 1917 stieß auch bei der organisierten Arbeiterschaft in Nowawes auf fruchtbaren Boden. Jene Sozialdemokraten, die der von Ebert und Scheidemann getragene Burgfriedenspolitik folgten, kamen in Nowawes zunehmend in die Minderheit. Die großen Gewerkschaften der Metaller und Textilarbeiter wurden von der USPD dominiert und auch die ersten freien Kommunalwahlen im Frühjahr 1919, an denen erstmalig auch alle Frauen teilnehmen konnten, erbrachten einen grandiosen Sieg der Linkssozialisten, die zusammen mir der kleineren Ebert-SPD in der Gemeindevertretung die absolute Mehrheit hatten.
Eine neue Zeit schien anzubrechen, auch eine radikale Schulreform war Tagesaufgabe. Der unbestrittene Nowaweser USPD-Führer Paul Neumann und seine Genossen ergriffen die historische Chance, schneller und radikaler als dies in anderen Industriestädten der Provinz Brandenburg geschah. Der erwähnte „Schulkompromiss“ schien das Tor zu öffnen, wenn auch nur einen Spalt breit. Sicherlich hatte man mehr politische Programme als tatsächliche Umsetzungskonzepte, schon gar nicht konnte man in Nowawes auf ein eine breite Phalanx pädagogischer Reformer zurück greifen.
Aber das politische Projekt einer Weltlichen Schule sollte und musste gelingen, „immer der Zukunft zugewandt…“
Mag ein gehöriger Mut und Aktionismus an den Tag gelegt worden sein, um den „bürgerlich-kirchlichen“ Widerstand klein zu halten und v.a. ausreichend Eltern zu finden, die für ihrer Kinder das Wagnis eingingen, etwas völlig Unbekanntes zu wagen. Doch dem Beispiel der ersten Berliner Sammelschulen folgend, ging die sozialistisch geprägte Gemeindevertretung voran – ohne Netz und doppelten Boden. Mit den vorhanden, meist kaisertreuen Volksschullehrern war zwar nicht viel Staat für diese neue Bildungseinrichtung zu machen, aber man hatte ja keine anderen! Nach 1933 gaben so einige dieser Lehrer – unter den neuen ideologischen Vorzeichen – zu Protokoll, auch nicht wirklich eine weltliche Schule gewollt zu haben.
Dass die Schule in der Priesterstr. 24 (heute Karl-Liebknecht-Str. 29; in der DDR POS 16 „Bruno H. Bürgel“, heute Grundschule „Bruno H. Bürgel“) dennoch 1922 – 1933 ein neue Lebenswirklichkeit pädagogisch bot, ist vor allem dem Lehrer der Schule, zugleich politischen Aktivisten (USPD, ab 1922 wieder SPD), Gemeindevertreter und späteren unbesoldeten Stadtrat Bruno La Grange zu verdanken. Nicht etwa die Rektoren Reinhold Kuschel und Hans Richter waren die Antreiber der Weltlichen Schule, sondern der aus Berlin stammende, in Nowawes schon seit 1912 als Lehrer tätige La Grange (1882 – 1932).
Die Tatsache, dass Kinder aus zumeist ärmeren Familien dem bildungspolitischen Zugriff der preußischen Staatskirche entzogen und gar teilweise in gemischten Klassen unterrichtet wurden, stieß immer wieder auf entschiedene Gegenwehr „bürgerlicher Kreise“ und Unverständnis und Ablehnung bei einem Teil der Arbeiterschaft. Wenn auch das 1907 errichtet Schulgebäude vergleichsweise modern war, lag es doch eher in jenem Teil der Gemeinde nördliche der Eisenbahnlinie, wo mehrheitlich arme Proleten und Arbeitslose wohnten. Zwar war sie damit eine Milieuschule der kurzen Wege, aber es mangelte ihr, wie La Grange einmal später feststellte, an jenen Schülerschichten, die eher aus den Mittelklassehaushalten kamen. Auch das bekannte Phänomen, Schüler beim Scheitern auf den anderen Volksschulen an der Sammelschule aufzunehmen, wurde kritisch bilanziert.
Und dennoch war die Weltliche Schule nicht nur eine Bildungseinrichtung, die Zukunft probiert. Es war DAS politische Projekt der linken Arbeiterparteien und ihrer Vorfeldorganisationen in der damaligen Zeit. Ob Gewerkschaften, AWO, ASB, Arbeitersportvereinen, Arbeiterchöre, Kinderfreunde, aber auch die Rote Hilfe: alle gaben oft ihr letztes Hemd für die Ausstattungen der Schule und die soziale Fürsorge für die Schüler. In den ersten Jahren ihres Bestehens waren die Räume der Schule auch Treffpunkt der politischen Arbeiterjugend, bevor diese die Räume der neu errichteten Jugendherberge am Sportplatz nutzen konnte.
Auch wurde die Schule der Kristallisationspunkt einer lebendigen proletarischen Jugendweihetradition, deren Träger das örtliche Gewerkschaftskartell und das Arbeiter-Sport- und Kulturkartell in Zusammenarbeit mit dem Freidenkenverband waren. Auch hier war Bruno La Grange nicht nur Inspirator sondern auch Organisator und bot Jugendweihekurse an.
Ein eher düsteres Kapitel auch für dieses bildungspolitisch-revolutionäre Projekt ging einher mit dem verschärften Bruderkrieg zwischen SPD und KPD Anfang der 30er auch in Nowawes. Für die einen war die Sammelschule der Einsteig in eine Bildungsreform in Preußen, für die anderen eine unzumutbare Insellösung. Ausgelöst aus Dissonanzen in der nicht durchgängig „weltlichen“ Lehrerschaft der Schule, wurde eine politische Schlacht zwischen den Arbeiterparteien geschlagen, die den Konservativen im Provinziallandtag vom „marxistischen Schulskandal in Nowawes“ zu sprechen ermöglichte. Auch persönliche Verletzungen unter den linken Kontrahenten blieben nicht aus.
Unstrittig ist, dass der zugespitzte Kampf gegen den aufkommenden Faschismus (der bis 1933 in Nowawes aber kein Bein auf den Boden bekam), oft von – aus heutiger Sicht unerträglichen Anfeindungen von Sozialdemokraten und Kommunisten gegeneinander überwölbt wurde. Das Familienleben der proletarischen Milieus blieb davon nicht unberührt. So verwundert es auch nicht, dass die Kinder aus diesen politisch aufgeladenen Milieus ihre „frischpolitischen“ Erfahrungswelten mit in die Schule brachten und somit auch die Lehrerschaft oft überforderten. Auch die sehr aktive Elternvertretung und Leitung des Gewerkschafters und Sozialdemokraten Hans Kohl zerfiel zunehmend in ein gegensätzliches parteipolitisches Fahrwasser. Letztendlich sah sich die Schulaufsicht genötigt, einige der Protagonisten der innerschulischen Auseinandersetzungen unter der Lehrerschaft zu versetzen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass diese Schule unter schwierigsten materiellen und personellen Bedingungen, aber mit einer großen Unterstützung der politisch und gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft für einen Teil der Nowaweser Kinder nicht nur eine andere Art von Schule versuchte, sondern auch im Freizeitbereich eine starke naturbezogene und musische Entwicklung der Schüler beförderte.
Mit der Machtübernahme der Nazis und ihrer „bürgerlich-nationalkonservativen“ Gesinnungsgenossen auch in Nowawes, ging die Geschichte der weltlichen Schule und ihrer Lehrer und Schüler abrupt zu Ende. Schon am 25. Februar 1933 wurde per Erlass für Preußen die Auflösung der weltlichen Schulen und das Verbot des Lebenskundeunterrichts verfügt. Auf diese Chance haben die neuen „Braunen“ und bisher in der Minderheit agierenden alten „Schwarzen“ im „Roten Nowawes“ nur gewartet.Von einem großen Demonstrationszug, angeführt von einer SA-Kapelle, berichtet die konservative Potsdamer Tageszeitung im März 1933:
„Die friedliche Erstürmung der roten Schulburg in der Priesterstraße, von der heute früh die frische Jugend … für alle Zeiten Besitz ergriffen, war mehr als ein Akt tiefer symbolischer Bedeutung. Der Zusammenbruch der weltlichen Schule in Nowawes wird alle die mit heißer Genugtuung erfüllen, die seit Jahren wehen Herzens erlebten, welcher Ungeist hier gepredigt, welche Jugend hier herangezogen wurde… Der (NSDAP) Stadtrat Pichottka hielt dann eine eindrucksvolle Ansprache, in der er darauf hinwies, dass nunmehr in das Haus, in dem Internationalismus, Marxismus und Religionslosigkeit geherrscht habe, neuer Geist einziehen werde. In dieser Schule werden die Kinder zu deutschen Männern erzogen.“
Der aus diesen Zeilen sprechende Hass ist auch ein Zeugnis für die Gefährlichkeit einer Schulform, die 1922 ein neue lebenskundliche Bildung wagte.
Ihr Inspirator und Mitgestalter, Bruno La Grange, erlebte ihren Untergang nicht mehr. Er starb 1932. Andere Lehrer wurden aus politischen Gründen entlassen oder an andere Schulen strafversetzt. Und andere hatte ja von alledem nichts gewusst…
Den 8. Mai, den Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, wollen wir in diesem Jahr mit dem Blick auf eine lokale Erinnerungspolitik und diejenigen werfen, die die Befreiung nicht mehr erleben konnten. Für Millionen Menschen kam die Befreiung zu spät, die zuvor durch die Nationalsozialisten geschlagen, misshandelt, ermordet und verscharrt wurden. Auch ihnen wollen wir am 8. Mai gedenken.
Im Fokus steht dabei Walter Klausch, Antifaschist und Kommunist, der mit seiner Ermordung im von der SA eingerichteten Konzentrationslager Oranienburg zu den ersten Todesopfern des Nationalsozialismus im damaligen Nowawes, dem heutigen Potsdam-Babelsberg, gehörte.
Eine demokratische Gesellschaft ist nicht lebensfähig ohne die Besinnung auf die Geschichte. In diesem Sinne wollen wir den vergessenen Walter Klausch wieder in den Blick der Öffentlichkeit bringen, obwohl hier sogar eine Straße nach ihm benannt ist. Die Geschichtswerkstatt Rotes Nowawes trat mit einer Bitte an die Stadt Potsdam heran, ein Zusatzschild zum Namensgeber der Straße an seinem 115. Geburtstag anzubringen. Dieser 115. Geburtstag ist der 8. Mai.
Erinnern und Gedenken sind aktive Formen der Auseinandersetzung mit der vergangenen Wirklichkeit. Sie mahnen uns in besonderer Art und Weise, sich mit der lokalen Geschichte auseinanderzusetzen. Auch Straßennamen und Grabstätten gehören dazu. Wir wollen mit euch das Zusatzschild einweihen und zum Grab von Walter Klausch auf den benachbarten Friedhof gehen. Dort können Blumen niedergelegt werden.
Für eine Diskussion zum lokalen Erinnern und Gedenken stehen wir anschließend im Heidehaus zur Verfügung, wo wir selbstverständlich auch auf den Tag der Befreiung mit euch anstoßen möchten.
Wir verweisen zudem auf die Veranstaltungen im Buchladen Sputnik am Nachmittag.
Sonntag, 8. Mai 2022, 11 Uhr
Ecke Großbeerenstraße/Walter-Klausch-Straße
Tag der Befreiung und Gedenken an Walter Klausch
Sonntag, 8. Mai 2022, 16:20 Uhr
Buchladen Sputnik (Charlottenstraße 28)
Lesung mit Simon Strick: „Rechte Gefühle – Affekte und Strategien des digitalen Faschismus“ (Das Buch untersucht, mit welchen Strategien rechtes Gedankengut auf der Gefühlsebene verankert wird und welche Rolle digitale Medien dabei spielen.)
Sonntag, 8. Mai 2022, 19:20 Uhr
Buchladen Sputnik (Charlottenstraße 28)
Lesung aus dem kollektiv verfassten Roman „Hinterwald“ (Lustvoll subversiv: „Hinterwald“ ist ein Krimi nach wahren Begebenheiten, die geradezu ein Muster für die Auseinandersetzung mit Nazi-Kriegsverbrechen in der alten Bundesrepublik darstellen.)
Am 23. April 1922, vor 100 Jahren, wurde in Potsdam-Babelsberg die erste weltliche Schule des Landes Brandenburg eröffnet.
Anlässlich des 100. Jubiläums dieses Ereignisses lädt der Humanistische Verband Potsdam/ Potsdam-Mittelmark zu einem Humanistischen Salon am 30.03.2022 um 18.00 Uhr im Haus der Natur, Lindenstraße 34, 14467 ein.
Unter dem Thema „Welche Werte brauchen Kinder?“ wird auf die Entwicklung der weltlichen Schule wie des Faches Lebenskunde zurückgeblickt.
Die Geschichtswerkstatt „Rotes Nowawes“ möchte in diesem Jahr an Persönlichkeiten und Ereignisse aus der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung erinnern. Dabei suchen wir Nachkommen oder Bekannte, die uns Brücken zu Menschen aus dem ehemaligen Nowawes bauen können.
So wurde 1922 in der damaligen Priesterstraße (heutige Bruno-H.-Bürger-Schule in der Karl-Liebknecht-Str.) die erste weltliche „Sammelschule“ (also ohne verpflichtenden Religionsunterricht) der Provinz Brandenburg gegründet, die die Nazis gleich 1933 wieder auflösten. Wer kennt Verwandte oder Bekannte oder Nachkommen von Schülerinnen und Schüler, die 1922 – 1933 diese (V. Gemeinde-) Schule besuchten?
Die gebürtige Nowaweserin Martha Ludwig, geb. Deinert (19.9.1908 Nowawes – 24.7.1992 Potsdam) schrieb im Jahre 1970 das Kinderbuch „Das Mädchen Krümel“. In diesem Buch schilderte sie weitgehend authentisch eigene Kindheits- und Jugenderlebnisse in einem kommunistischen Arbeiterhaushalt in Nowawes. Das Buch wurde 1977 dann sogar in der DDR verfilmt. Nach 1945 war sie Volksrichterin und auch Volkskorrepondentin der Märkischen Volksstimme und lebte u.a. in der Filchnerstr. 56. Wer kannte Martha oder gibt es noch Nachkommen, die wir ansprechen könnten?
Am 16.6.1933 wurde der erst 26jährige Nowaweser Kommunist Walter Klausch im KZ Oranienburg ermordet. Neben der Benennung einer Straße nach ihm gab es auch einen Walter-Klausch-Klub in der Fultonstr. Ecke Siemensstr. Wer kann etwas zu diesem Wohngebietsklub berichten? Auch die 20. POS in Drewitz trug den Namen von Walter Klausch. Walter Lehnert (1909 – 1980) soll sich damals sehr um die Namensgebung bemüht haben. Wer könnte uns über ihn und die Schule was sagen?
Schreibt an kontakt at rotes-nowawes punkt de oder an Geschichtswerkstatt Rotes Nowawes, c/o Heidehaus, Großbeerenstraße 98A, 14482 Potsdam.