Wenn wir vom Roten Nowawes sprechen, dann haben viele oftmals die politische Einstellung der Bevölkerung im Kopf, die aufgrund der Arbeiter*innenbewegung natürlich stark von sozialdemokratischen, kommunistischen, aber auch anarchistischen Ideen geprägt war. Dies spiegelt sich auch in der Vielfalt von Sport- und Kulturvereinigung im Arbeiter*innenmilieu wider.
Wenn wir vom „Roten Nowawes“ als politische Identität sprechen, dann dürfen wir die sozioökonomische Situation der Einwohner*innen nicht aus dem Blick verlieren, zumal politisches Engagement auch aus den sehr prekären Arbeits- und Lebensbedingungen entstand.
Läuft man heute durch die Straßen von Babelsberg, dann können sie nicht das wiedergeben, was sich hier in den Zeiten der Industrialisierung, im Ersten Weltkrieg oder auch in der Weimarer Republik abspielte. Das Leben der Bevölkerung war geprägt von einem hohen Leidensdruck, von Armut, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und einer schwierigen gesundheitlichen Situation.
Heute wird das Stadtbild von „putzigen“ Weberhäusern oder deren Nachbauten und von großen, fast herrschaftlich anmutenden frisch sanierten Mietswohnhäuern aus den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts geprägt. Spuren von Wohnungselend und Wohnungsnot sind kaum zu erahnen. Das selbst so prächtigen Wohnquartiere im Neuendorfer Teil von Babelsberg zwischen der S-Bahn und um die Großbeerenstraße herum einmal Mietskasernen, waren, die Toilette im Hof oder auf der Treppe, und oftmals sich mehrere Familienmitglieder die kleinen Zimmer bzw. die Wohnung teilen mussten, ist heute kaum zu erahnen.
Dabei fing das Leben für die Nowaweser Kolonisten scheinbar sehr verheißungsvoll an: eine eigen Parzelle, ein eigenes Haus, ein großer Garten zur Selbstversorgung mit Obst und Gemüse und so manchem Kleinvieh. Doch die Idylle trog: im größten Raum des Weberhauses klapperte der Webstuhl, die vielköpfigen Familien zwängten sich in den restlichen Schlaf- und Wohnstuben und die „Schwarze Küche“ befand sich im Flurgang ohne Fenster. Vor allem die hier lebenden Weber*innen waren jene Personen, die später im Zuge der Industrialisierung und des Niedergangs der klassischen Arbeit an den Webstühlen in den Fabriken Arbeit fanden. Zuerst noch in den großen Textilfabriken der Spinne, der Jute, von Pitsch und Hozak, später dann auch in anderen Industriebereichen.
Während Berlin vor allem durch die Landflucht der Schlesischen, Pommerschen und Posener Landarbeiter*innen wuchs, die sich auf der Suche nach besseren Lebens- und Verdienstmöglichkeiten westwärts bewegten und in den Fabriken ihr Glück suchten, so begann der Verstädterungsprozess in Nowawes und Neuendorf um die Jahrhundertwende gemächlicher und städteplanerisch spontaner. Eine vorsorgende soziale Infrastruktur, Öffentlicher Nahverkehr und sozialer Wohnungsbau waren zumeist noch Fremdworte, selbst dann noch als die großen Fabriken der Textilindustrie und des Maschinenbaus entstanden.
Das Bauland in der alten Weberkolonie Nowawes, die eingezwängt von Flur und Feld der Neuendorfer Bauern und der königlichen Forstverwaltung war, war knapp. Alles war parzelliert und mit Weberhäusern bebaut. Selbst das Gemeindeoberhaupt der Nowaweser Kolonie übte seine Amtsgeschäfte von seinem Wohnhaus in der Mühlenstr. 8 aus.
Erst als das Weberelend die die Kolonisten zwang, Teile ihrer Grundstücke zu verkaufen und der Zustrom eines neuen Industrieproletariats den Bau von Mietshäusern lukrativ machte, entstand jenes „Patchworking“, was heute noch das Stadtbild des alten Nowawes nördlich der S-Bahn prägt: Es entstanden Massenmietshäuser, oftmals versteckt hinter einer repräsentativen Fassade. Dieser Häuser waren ein Produkt der Trennung von Arbeits- und Wohnsphäre. Während die Weberhäuser beide Lebensbereiche unter einem Dach vereinigten, sorgten der Bedarf an Wohnraum und die Veränderung der Arbeits- und Lebensbedingungen für einen Wandel hin zu großen Wohnhäusern, meist unterteilt in Vorderhäuser, Seitenflügel und Hinterhäuser. In diesen Wohngebäuden fand schließlich auch eine noch näher einzugehende soziale Teilung der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten statt.
Beispielhaft sei die Art und Weise der Bebauung der Friedrichstr. (heute Garnstr.) im Jahre 1905 erwähnt:
1905 1927
Friedrichstr. (Garnstr.)
südliche Seite von Alt Nowawes aus
1 E: Handelsmann Aloys Haupel E: Fleischermeister Adolf Faupel
14 Mietparteien 6 Mietparteien
2 E: Schlächtermeister August Schwarze E: Josef Kluttig
3 Mietparteien 6 Mietparteien
3 E: Papierhändler Max Ribbeck E: Kontorist Eugen Lindner
2 Mietparteien 2 Mietparteien
4 E: Webermeister August Ribbeck E: Webermeister August Ribbeck
5 Mietparteien 6 Mietparteien
5 E: Arbeiter Karl Kleetsch E: Töpfermeister Otto Wanderburg
2 Mietparteien 2 Mietparteien
6 E: Arbeiter Berthold Rättig Baustelle
3 Mietparteien
7 E: Hutmacher Adolf Zwernemann E: Kreis Teltow
2 Mietparteien 2 Mietparteien
8 E: Drogerist Albert Richter E: Witwe Selma Richter
5 Mietparteien 5 Mietparteien
9 E: Witwe Alwine Kirstein E: Webermeister Wilhelm Scheffel
2 Mietparteien 1 Mietpartei
10 E: Barbier Wilhelm Schröter E: Barbier Wilhelm Schröter
11 E: Zimmermann August Lehmann E: Wagenmeister Wilhelm Lehmann
1 Mietpartei 2 Mietparteien
12 E: Webermeister Karl Eckardt E: Rentner Fritz Kalbe
1 Mietpartei 9 Mietparteien
13 E: Zigarrenfabrikant Hermann Federowitz E: Zigarrengeschäft Adolf Federowitz
1 Mietpartei 3 Mietparteien
14 E: Kaufmann Fritz Benn in Stüdenitz (Ostpriegnitz) E: Kaufmann Fritz Benn
9 Mietparteien 8 Mietparteien
15 E: Kaufmann Albert Richter E: Witwe Selma Richter
3 Mietparteien 6 Mietparteien
16 E: Tuchmachermeister Leopold Lehmann E: Bäckermeister Otto Winkel
4 Mietparteien 3 Mietparteien
17 E: Kaufmann Otto Mehlmann E: Händlerin Frieda Parnemann
18 Mietparteien 20 Mietparteien
18 E: Witwe Anna Kasties E: Fahrradhandlung Karl Prinz
7 Mietparteien 3 Mietparteien
19 E: Stationsarbeiter Ernst Ebert E: Goldschmiedemeister Paul Höhne
6 Mietparteien 4 Mietparteien
20 E: Bäckermeister Karl Schulz E: Bäckermeister Walter Günther
10 Mietparteien 9 Mietparteien
21 E: Rentier Emil Marg E: Geschwister Hoebbel
4 Mietparteien 7 Mietparteien
22 E: Rentier Emil Marg E: Geschwister Hoebbel
4 Mietparteien 5 Mietparteien
Karl-Liebknecht-Str.
23 E: Kaufmann Adolf Müller E: Handelsgeschäft Frieda Müller
4 Mitparteien 4 Mietparteien
24 E: Kaufmann Moritz Fischer E: Buchhalter Heinrich Ratajczack in Berl.
2 Mietparteien 3 Mietparteien
25 E: Rentier Glob. Fischer E: Rentier Moritz Fischer
3 Mietparteien 9 Mietparteien
26 E: Witwe Emilie Gerlach E: Herrenartikelgeschäft Emilie Gerlach
2 Mietparteien 2 Mietparteien
27 E: Kaufmann Albert Casper E: Privatier Albert Casper
1 Mietpartei 1 Mietpartei
28 E: Kaufmann Albert Kieper E: Damen- und Mädchenkon. Ernst Klapp
3 Mietparteien 4 Mietparteien
29 E: Witwe Marie Kißler E: Witwe Maxie Kißler
3 Mietparteien 5 Mietparteien
Einmündung Auguststr. (Tuchmacherstr.)
30 E: Gemeinde Nowawes E: Stadt Nowawes
Lehrerhaus Lehrerhaus
31 E: Webermeister Ferdinand Ribbeck E: Handelsmann Gistav Peise
2 Mietparteien 3 Mietparteien
32 E: Webermeister Ferdinand Ribbeck E: Handelsmann Gustav Peise
2 Mietparteien 3 Mietparteien
33 E: Pensionär Carl Krohse E: Schuhmachermeister Wilhelm Benecke
8 Mietparteien
34 E: Webermeister Karl Ribbeck jun. E: Pensionär Karl Ribbeck
3 Mietparteien 4 Mietparteien
35 E: Barbier und Heilgehilfe Rudolf Gersbach E: Hans von Baussen
2 Mietparteien 4 Mietparteien
36 E: Schneidermeister Reinhard Vortisch E: Kaufmann Reinholf Vortisch
4 Mietparteien 6 Mietparteien
37 E: Schuhmacher Ludwig Krüger E: Schuhgeschäft Berta und Luise Krüger
1 Mietpartei
Ganz anders entwickelte sich die Wohnbebauung in der Gemarkung Neuendorf (Bereich Großbeerenstr.). Hier war Bauland zu haben, da eine vorherige Bebauung auf den Feldern der Neuendorfer Bauern fehlte. Neuendorfer, die durch den Verkauf ihrer Ländereien zu Geld gekommen sind und Berliner Geschäftsleute kauften die Flächen auf und bauten große Mietshäuser.
Wenn wir heute durch Babelsberg laufen, dann sind die wiedersanierten Fassaden der für die Bourgeoisie repräsentativen Vorderhäuser einen Blickfang. Sie vermögen jedoch die Wohnungsverhältnisse der damaligen Zeit nicht widerzuspiegeln. Dabei galt auch hier, was überall die Norm war, nämlich die klassische Wohnraumaufteilung des Bürger*innentums. Zur Straße hin hatten die gutsituierten Personen und Familien ihre Wohnungen mit hohen, oft stuckverzierten großen Räumen und verbunden durch große Flügeltüren. Zum Hof hin liegen die sogenannten Funktionsräume, also Küche, Schlaf- und Kinderzimmer, Dienstmädchenzimmer, Bad und Küche. Meist hinten raus, als Nebenflügel oder Hinterhaus im Hof befanden sich die kleinen, kümmerlichen und beengten Behausungen der Arbeiter*innen. Diese hatten meist nur ungenügend Sonnenlicht und waren ohne Toilette und Bad gebaut, denn dies befand sich in gemeinschaftlicher Nutzung auf halber Treppe oder im Hof. Zur Eigenversorgung nutzten die ärmeren Familien jeden Meter zum Anbau von Obst und Gemüse oder zur Haltung von Kleintieren. Im Gegensatz zu den repräsentativen Hausfassaden und gemütlichen Wohnungen an der Straßenseite, war das Abbröckeln von Putz, mit Holz und Pappe vernagelte Fenster, Nässe, Schwamm und Ungeziefer in den Wohnungen der Proletarier*innen ein Normalzustand.
Großbeerenstr. 71
1914
E: Privatier Heinrich Greifeldt
Techniker
2 Werkmeister
Pensionär
Gärtner
Ingenieur
1919
E: Privatier Heinrich Greifeldt
Schlossermeister
Wachtmeister
Dreher
2 Werkmeister
Schneidermeister
1927
E: Privatier Heinrich Greifeldt
Schlossermeister
3 Werkmeister
eine alleinstehende Frau
Dachdeckermeister
Metalldreher
1934
E: Witwe Emma LaGrange und Edith und Ingrid Greifeldt
Witwe
Pensionär
Mechanikermeister
2 Dachdeckermeister
Autofuhrbetrieb
Dreher
1938
E: Sattlermeister Arthur Meißner
Witwe
Bankangestellter
Sattler
Autofuhrbetrieb
2 Dachdeckermeister
Dreher
Rentner
1949
E: Sattlermeister Arthur Meißner
Witwe
Zugführer
Autoschlosser
Kraftfahrer
2 Dachdeckermeister
Kaufmann
3 Studentinnen
So war die Wohnung einer Arbeiter*innenfamilie häufig die Stube, die gleichzeitig als Küche, Wohn- und Schlafraum diente. So war es kein Wunder, wenn sich das Leben der Kinder und Jugendlichen einer Arbeiter*innenfamilie auf der Straße abspielte, diese waren Aufenthaltsort und Spielplatz zugleich. Das Wohnen fand, wenn vorhanden, in der Küche statt, denn hier gab es aufgrund des Ofens wenigstens etwas Wärme. Das proletarische Wohnen beschränkte sich nie auf das Wohnen in den eigenen vier Wänden, sondern fand aufgrund der eben geschilderten Verhältnisse vor allem außerhalb statt. Für die Frauen waren der Treppenabsatz, der Hof, die kleinen Läden an der Straße, die Bäckereien und der Markt die Lebens- und Kommunikationszentren. Und bei den Männern war es in jener Zeit vor allem nach Feierabend eine der zahlreichen Eckkneipen, wo Gespräche zu „Molle und Korn“ getätigt wurden.
Mit der Weltwirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit verschärfte sich die Wohnungskrise weiter. Der zwangsweise Auszug aus der Wohnung wegen hoher Mietkosten war das existenzielle Damoklesschwert über jeder Familie. Es wurden vermehrt Untermieter*innen aufgenommen, andere mussten ihre Haushalte auflösen und woanders unterkommen (z. B. kleinere Wohnungen oder in Gartenlauben) und andere meldeten sich als Obdachlose beim städtischen Fürsorgeamt. Behausungen für Wohnungslose gab es das „Armenhaus Neuendorf“ in der Großbeerenstr. 73a am dortigen Friedhof, ein Obdachlosenheim neben der kommunalen Kläranlage (!) in der Gartenstraße 55, aber auch in bereitgestellten Wohnungen in der Semmelweißstraße. Aktionen gegen Zwangsräumungen, sogenannte Exmittierungen, und gegen die Wohnungsnot wurden zumeist von der KPD organisiert. Nowawes, dass mittlerweile über eine städtisch ausgestattete soziale Infrastruktur wie zum Beispiel der Armenverwaltung im Rathaus in der Priesterstraße, dem Arbeitsamt mit der Erwerbslosenfürsorge in der Anhaltstraße, eine Ortskrankenkasse (mit Badezellen) in der damaligen Yorkstraße, einer Jugendherberge am heutigen Stadion mit der Möglichkeit für Luftkuren für Kinder oder einem Wohnungsamt verfügte, war seit jeher ein Schmelztiegel der sozialen Proteste, Streiks und Unruhen. Erinnert sei hier an die Teuerungsunruhen gegen die Erhöhung von Lebensmittelpreisen im Juli 1923.
„Die Erwerbslosenausschüsse schalteten sich auch – und oft erfolgreich – bei Exmittierungen ein. Die jeweilige Stadtteilleitung der KPD informierte sie, wenn eine bevorstand. Dann wurden der Ausschuss und die Nachbarschaft alarmiert, und sobald der Gerichtsvollzieher mit seinem bewaffneten Polizeischutz, nachdem sie die Wohnung gewaltsam geräumt hatten, abgezogen war, kam man an und trug die Möbel mit vereinten Kräften zurück in die Wohnung. Nach den geltenden Bestimmungen musste der Hauswart dann eine neue Räumungsklage einreichen, was der Familie mindestens acht Wochen Aufschub sicherte.“ (Lange: Berlin in der Weimarer Republik, S. 970) Aus Nowawes wird unter anderem eine Verhinderung einer Zwangsräumung aus der Kreuzstraße im Juli 1932 berichtet: „In einzelnen Fällen hatten Mitglieder der KPD versucht, den Exmittierten ihr trauriges Schicksal zu ersparen, wie im Juli 1932 in der Nowaweser Kreuzstraße, wo man nach einer Zwangsräumung die bereits auf die Straße geschafften Möbel der Exmittierten wieder in die Wohnung zurückschaffte, bis der Hauswirt die Polizei herbeirief, die auf die erbitterte Menge einschlug, die vergeblich versuchte, die nochmalige Räumung der Wohnung zu verhindern.“ (Müller: Zur Geschichte der Stadt Potsdam von 1918 bis 1933, S.66)
Trotz der elendigen Bedingungen waren die Vermieter*innen immer in der Lage, diese gesundheitsgefährdenden Wohnungen teuer an die Wohnungssuchenden zu bringen und die Wohnungen oder Zimmer oftmals zu überbelegen.
Einen besonderen Skandal vermeldet der „Vorwärts“ am 28.5.1905: Die Deutsche Jutespinnerei in der Wilhelmstr., die unter Arbeitskräftemangel leidet, versucht statt bessere Löhne zu zahlen, mehr als 100 junge Mädchen aus Schlesien, Polen usw. nach Nowawes zu ködern. Da Privatunterkünfte nicht zu haben sind, bringt die Spinnerei die Mädchen in Massenquartieren unter, so in der Mühlenstr. 1, 1a, 2, 2a und einem hergerichteten Pferdestall auf dem Fabrikgelände. Selbst nach der Geburt eines Kindes wurde eines der Mädchen am nächsten Tag zur Arbeit gezwungen, ohne sich um das Kind kümmern zu können. Abends nach der Arbeit konnte nur noch der Tod des Kindes festgestellt werden. Die unhaltbaren Zustände haben die Nowaweser Armendeputation auf den Plan gerufen.
Erste zaghafte Versuche zur Eindämmung des Wohnungselends war die von Fabrikherren und Kirchenverteter am 5.7.1904 vollzogene Gründung eines „Arbeiter-Bau-Vereins“. Er baute 1905 die Wohnhäuser in der Havelstr. 20, 22, 24, 26, 2830, 32, 34 und 36 und in der Wiesenstr. 1 und 3. Später dann die Häuser in der Großbeerenstr. 76, 78, 80, 82, 84, 86, 88und 90 und in der Kopernikusstr. die Häuser 43, 45, 47, 49, 51, 53, 55 und 57. 1938 folgten dann noch die Neubauten in der Paul-Neumann-Str. 67, 69, 71, 73, 75, 77 und 79 und in der Franz-Mehring-Str.
Während des ersten Weltkrieges war kaum gebaut worden und das industrielle Wachstum sowie der Zuzug aus anderen Regionen sorgten für eine Verschärfung der Wohnungskrise. In jener Zeit war es ebenfalls normal, dass Baracken und Lauben als Wohnungen dienten. Hinzu kommt, dass Mieter*innen kaum Rechte haben. Zwar gibt es in den großen Städten sogenannte Mieteinigungsämter, doch bei der Wohnraumvergabe und beim Nutzen des Wohnraums herrscht vor allem Willkür. Erst mit der zunehmenden Arbeitslosigkeit und Inflation Anfang der 1920er Jahre gibt es vermehrt Bemühungen zum Schutz der Mieter*innen, die in einem Mieterschutzgesetz vom 1. Juni 1923 münden. Trotzdem mussten die Arbeiter*innen immer mehr Geld ihres kleinen Lohns für die Mietzahlungen aufbringen. Und immer mehr wurde der Schutz der Mieter*innen ausgehöhlt. Wo sich Kommunen, wie das sozialdemokratisch bestimmte Nowawes, engagieren, ist zum Beispiel in der Bezuschussung des Wohnungsbaus, das Bereitstellen von billigem Bauland und die Unterstützung des gemeinnützigen und genossenschaftlich organisierten Wohnungsbaus.
Während Parkanlagen und Gärten schon immer die großen Städte prägten, setzte mit dem Wachstum der Städte im Zuge der Industrialisierung und der Herausbildung einer Arbeiter*innenklasse auch das Umdenken bezüglich der von kleinen Gärten ein. Die Bewegung der Kleingärten und Laubenkolonien fasste Fuß, so auch in Nowawes. Auf kleinen und mittelgroßen Flächen entstanden Kleingartenanlagen und Laubenkolonien, mit kleinen Parzellen, die meist von den Arbeiter*innenfamilien gepachtet wurden. Sie dienten einer Mischung aus Naherholung, Selbstversorgung und mit ihren kleinen Bretterbuden teilweise sogar als Wohnraum. Teilweise dienten die Kleingärten als eine Art Barackensiedlungen im Grünen. Man kann erahnen, dass daraus die bis heute existierende Wohnlauben entstanden. Auch in Nowawes wurden viele Kleingärten bzw. die dazugehörigen Lauben als Behelfsunterkunft in Zeiten der Wohnungsnot genutzt. Die ersten entstanden im nördlichen Teil von Nowawes, unweit des heutigen Karl-Liebknecht-Stadions. Eine erste Versammlung verschiedener Laubenbesitzer fand am 13. Oktober 1912 im Restaurant von Rudolf Thäter in der Grenzstraße 8 statt. Daraus erfolgte die Gründung des Laubenvereins „Babelsberg“. In direkter Nachbarschaft des Laubenvereins „Babelsberg“ gründeten sich zwei weitere Laubenkolonien, „Freie Scholle“ (1913) und „Hoffnung“ (1922), andere dann im Süden wie „Selbsthilfe“ (1917) oder „Moosgarten“ (1929).
Diejenigen, die nur über ungenügenden Wohnraum verfügten und nicht im Besitz eines Kleingartens waren, gehörten zu den Ärmsten der Armen. Jene Personen waren oftmals nicht in der Lage, ohne staatliche oder wohlfahrtsstaatliche Unterstützung auszukommen. Schnell organisierte sich neben der bereits erwähnten kommunalen Fürsorge eine wohlfahrtsstaatliche Infrastruktur, ausgehend von der Selbstorganisierung der Arbeiter*innenbewegung. Erwähnt seien hier die Ortsausschüsse der Arbeiterwohlfahrt, der Arbeiter-Samariter-Bund und die Rote Hilfe aber auch kirchliche Einrichtungen oder von Arbeiter*innen oder deren Parteien selbst initiierte Strukturen. Schon Ende des 19. Jahrhundert gab es eine Suppenküche, in der mehr als die Hälfte der Nowaweser Bevölkerung angemeldet war. Die Essensversorgung war einer der Hauptaufgaben für das Industrieproletariat, dass kein Land zur Eigenversorgung besaß und oftmals keinen Zugang zu den Hausgärten oder Kleingärten hatte, die auch aufgrund der kargen Böden der sandigen Scholle nur bedingt nutzbar waren. Wenn wir über den Wohnraum für die arbeitende Bevölkerung sprechen, dann dürfen diese Volksküchen, Wärmestuben und Obdachlosen-Asyle nicht vergessen werden. Ihre Inanspruchnahme war Sinnbild der sozialen Diskriminierung aufgrund menschenunwürdiger Bedingungen, die heute in Babelsberg nicht mehr vorstellbar sind.
Nach der Revolution 1918/19, die im Sinne der großen Mehrheit der politisierten Arbeiter*innen von Nowawes unvollendet blieb, betrieb insbesondere die damals stärkste Arbeiterpartei – die USPD unter ihrem legendären Anführer Paul Neumann – zeitweilig auch im Bündnis mit der MSPD und der KPD eine offensive kommunale Boden- und Baupolitik. Gegen eine Front bürgerlicher Parteien in der Gemeindevertretung setze Paul Neumann & Gen. den Ankauf großer Teile der Neuendorfer Sandscholle vom Potsdamer Forstfiskus durch. Neben dem Bau städtischer Wohnungen wurden Parzellen im Erbbaurecht im Blumenweg und in der Rosenstr. zum Eigenbau vergeben. Große Teile der erworbenen Sandscholle waren dann ab 1928 Grundlage der Bautätigkeit der gewerkschaftsnahen GEWOBA.
Die Stadt Nowawes selbst gründete eine gemeinnützige Wohnungsgesellschaft, die die Wohnungen in der Wollestr. 57, in der Jutestr. 8 und 10, in der Großbeerenstr. 104 – 152b, in der Stahnsdorfer Str. 3 – 33a, in der Pestalozzistr. 8, 17, 19, 21 und 23, in Stephenson. 34 – 54 und in der Kleinen Str. 2, 4, und 8 baute.