Das Frühjahr 1921: Geburtsstunde der Roten Hilfe

Im April 1921 entstanden als Folge der politischen Repression nach den Märzkämpfen in Mitteldeutschland auf Beschluss der KPD die sogeannten Rote-Hilfe-Komitees. Ende des Jahres entstand in Berlin ein Zentralkomitee. Generell gab es bereits vorher die Überlegungen, ein proletarisches Rotes Kreuz zu schaffen. Das KPD-Verbot im November 1923 beinhaltete auch das Verbot der Roten Hilfe. Im Oktober 1924 gründete sich dann die „Rote Hilfe Deutschlands“ (RHD) als unabhängige und übergreifende Solidaritätsorganisation, ihre erste Reichstagung fand im Mai 1925 statt. Hier wurde unter anderem das Statut abgesegent. Ab 1925 erschien „Der Rote Helfer“, 1929 durch die Zeitung Tribunal abgelöst, als überregionales Blatt. In den Blättern gab es Nachrichten über die Organisation, Themen der internationalen Solidarität, Kampagnen und Informationen aus den Bezirken bestimmten den Inhalt.

Im Folgenden werden wir etwas über den organisatorischen Aufbau und die Tätigkeiten erfahren, die sowohl im „Roten Helfer“ als auch im regionalen Mitteilungsblatt „Klassenjustiz“ abgedruckt worden sind und die einen kleinen Ausschnitt aus dem politischen Leben Mitte bis Ende der 1920 Jahre in Berlin-Brandenburg und Nowawes bieten. Erwähnt sei noch die kleine und auf Schreibmaschine herausgebrachte Zeitschrift der KPD Nowawes mit dem Namen „Roter Pionier“, die in ihren Ausgaben Anfang der 1930er Jahre regelmäßig Werbung für die Rote Hilfe abdruckte und unter anderem Dampferfahrten im Rahmen eines Solidaritätstages der Roten Hilfe zu den Götzer Bergen bewarb. Aus den bereits erwähnten Quellen versuchen wir ein Bild der Roten Hilfe Deutschland und seiner Ortsgruppe Nowawes zu zeichnen. 

Zwar wurde die lokale Arbeit der Roten Hilfe sehr geschätzt und es gab bemerkenswerte Geldsammlungen in den armen proletarischen Kreisen, doch im ersten Mitteilungsblatt „Klassenjustiz“ der Roten Hilfe für Berlin-Brandenburg wurde der schleppende organisatorische Aufbau kritisiert. Demzufolge veröffentlichte man einen Aufruf und eine Organisationsstruktur. Übergeordnet war der Aufbau der Ortsgruppen der Roten Hilfe durch regionale Gliederungen, den Bezirken. Festgehalten wurde dies auf dem Reichskongress der Roten Hilfe Deutschland. Für Berlin und Brandenburg gab es den gleichnamigen Rote Hilfe Bezirk Berlin-Brandenburg mit einem eigenen Bezirksvorstand. Eine erste Bezirkskonferenz fand am 20. September 1925 in Berlin statt. Ortsgruppen mit bis zu 100 Mitgliedern konnten einen Delegierten abstellen. Mit der „Klassenjustiz“ erschien mehrmals im Jahr ein vierseitiger Rundbrief.

In der „Klassenjustiz“ Nummer 1 des 1. Jahrgangs aus dem Jahr 1925, also dem allerersten Exemplar des Mitteilungsblattes der Roten Hilfe Berlin-Brandenburg, wurde folgende Organisation der Roten Hilfe auf lokaler Ebene angeregt:

„1. Die Rote-Hilfe-Mitglieder schließen sich in ihren Arbeitsstätten, Gewerkschaften, Vereinen oder Wohnbezirken zu Rote-Hilfe-Zellen zusammen, um die Aufgaben der RH gemeinsam zu propagieren und durchzuführen, sowie ständig neue Mitglieder zu werben. Jede Zelle wählt in einer Zellenversammlung einen Zellenobmann oder einen Zellenvorstand. Obmänner und Vorstandsmitglieder können durch Mehrheitsbeschluss der Zellenversammlung jederzeit zurückgerufen werden.

2. Die Zellenobmänner und Zellenvorstände eines Ortes und in Berlin eines Verwaltungsbezirkes bilden zusammen den örtlichen Funktionärskörper der Roten Hilfe.

3. Die Mitglieder aller Zellen eines Ortes und in Berlin eines Verwaltungsbezirkes bilden zusammen die Ortsgruppe der Roten Hilfe Deutschlands und wählen in einer allgemeinen Mitgliederversammlung den Ortsvorstand und die Revisionskommission.

(…)

5. Der Ortsvorstand setzt sich aus drei bis sieben Mitgliedern zusammen und führt unter sich eine Arbeitsteilung nach folgenden Grundsätzen:

a) Leitung,

b) Kasse,

c) Literatur und Presse,

d) Rechtsschutz,

e) Gefangenenfürsorge,

f) Frauen- und Kinderfürsorge,

g) Archiv.

(…)“

Dieser Auszug zeigt exemplarisch die Organisationsstruktur und Aufgabenfelder der Roten Hilfe, die zu jener Zeit nicht nur in der klassischen Rechtsschutz- und Gefangenenbetreuung lagen, sondern durchaus einen sozialen Charakter hatten. Weiterhin waren die Arbeit und das Leben der Roten Hilfe geprägt durch Solidarität, vor allem auch mit dem europäischen Ausland. Die Revisionskommission war das Kontrollorgan der Ortsgruppe und prüfte die Kassen, Einnahmen und Ausgaben und musste auf den Monatsversammlungen Bericht erstatten. Einen Schwerpunkt bildeten Kampagnen zu Amnestie, Repression und den politischen Gefangenen. Auch die Familienmitglieder von inhaftierten Genossen wurden betreut und finanziell unterstützt. Dies waren vor allem Nahrungsmittellieferungen (zum Beispiel Kartoffeln oder Rüben) und die Versorgung mit Heizmaterial wie Kohlen. Hinzu kamen spezielle Weihnachts- und Winterhilfen sowie Kleiderspenden.

Nach einer Aufstellung der Roten Hilfe gab es im Mai 1925 in der Region 291 Genossen und Genossinnen, die aus politischen Gründen angeklagt wurden. Zahlreiche Haussuchungen und Verhaftungen folgten. In den Berlin-Brandenburger Gefängnissen und Zuchthäusern saßen im Mai in neun, wo eine Aufstellung vorhanden war, 336 Gefangene ein. Insgesamt müssen es also rund 500 bis 600 gewesen sein, so die Vermutung der Roten Hilfe. Ihre Unterstützung bzw. Freilassung war eine der Hauptaufgaben der Roten Hilfe, die ihren Feind in der Klassenjustiz sahen. Weiter wurden Unterschriften gesammelt, Betriebsdelegationen politisiert, Kundgebungen und Demonstrationen veranstaltet.

Im Oktober 1926, also ein Jahr nach den Anstrengungen des Aufbaus im RH Bezirk Berlin-Brandenburg und im Aufruf der ersten Ausgabe der „Klassenjustiz“ erfolgte in der Nummer 1 des 3. Jahrgangs (Januar 1927) eine Aufstellung des Mitgliederbestandes und der Einnahmen der Ortsgruppen. Für Nowawes wurde die Mitgliederzahl von 239 angegeben. Ein beachtlicher und der höchste Wert im Vergleich zu den anderen, wenn auch ländlich geprägten Orten, in der Region. Nicht unerwähnt bleiben sollen die 23 Mitglieder in Alt-Drewitz sein. An finanziellen Ressourcen wurden 1,40 Mark an Eintrittsgeld aufgeschlüsselt, 89,90 Mark an Beitragsmarken sowie 16,10 Mark an Literatur. Sammlungen hat es scheinbar nicht gegeben, erst einen Monat später wird in der Abrechnung eine Summe von 13,31 Mark für Sammlungen beziffert. Im Vergleich dazu hatte Potsdam 115 Mitglieder mit einem Kassenbestand von insgesamt 73,50 Mark.

Für die 3. Bezirkskonferenz der Roten Hilfe Berlin-Brandenburg-Lausitz, wie sich der Bezirksvorstand mittlerweile nannte und die am 24. April 1927 stattfinden sollte, schrammte Nowawes mit 248 Mitgliedern knapp an der möglichen Entsendung von drei Delegierten vorbei, für die 251 notwendig gewesen wären. Trotzdem wurde der organisatorische Aufbau der lokalen Strukturen gelobt: „Die 3. Bezirkskonferenz der RHD (Berlin-Brandenburg-Lausitz) stellt mit Befriedigung fest, dass die Organisation im letzten Jahre in organisatorischer und politischer Beziehung unzweifelhafte Erfolge erzielt hat. Die RHD hat in breiten Schichten des Proletariats Anerkennung als überparteiliche, proletarische Klassenorganisation gefunden. Die starke Mitgliederzunahme, vor allem aus Schichten der parteilosen sowie sozialdemokratischer und republikanischer Arbeiter, sind ein Beweis dafür.“

Und tatsächlich wurde nicht nur lokal und regional die Struktur der Roten Hilfe ausgebaut, sondern auch der 2. Reichskongress im Mai 1927 formulierte diesen Aufschwung seit dem 1. Reichskongress, der 2 1/2 Jahre zuvor stattfand.

Im Zuge des 2. Reichskongresses wurde innerhalb der Roten Hilfe Deutschlands zu einer Werbewoche vom 22. Mai bis zum 29. Mai 1927 aufgerufen. „Es heißt daher für alle Roten Helferinnen und Roten Helfer: 1. In den Betrieben: Heran an die sozialdemokratischen Kollegen und Kolleginnen! (…) 2. In den Wohnbezirken müssen all diese und ähnliche Aufgaben durch unermüdliche Hausagitation erfüllt werden. Dabei vergesse man nicht den eifrigen Vertrieb der RH-Broschüren. Der „Rote Helfer“ gehört in jede Arbeiterwohnung. 3. Eifriger als bisher müssen unsere Genossinnen und Genossen in den Arbeiterorganisationen (Gewerkschaften, Freidenker, Arbeitersport- und Gesang- und sonstigen Vereinen) dafür sorgen, dass ihre Organisation der Roten Hilfe als Kollektivmitglied beitritt. Daneben darf in diesen Organisationen das Werben von Einzelmitgliedern nicht vergessen werden.“

Gab es im Januar 1927 in Nowawes 261 registrierte Mitglieder, so erscheinen in der Statistik jedoch für das II. Quartal 1927 nur noch 255 Mitglieder für Nowawes, in Potsdam jedoch erhöhte sich die Zahl der Mitglieder um 10 auf 132. Warum es in Nowawes kein Wachstum gab, kann nur spekuliert werden. Politische Grabenkämpfe spielten auch in der Roten Hilfe (trotz der scheinbaren Überparteilichkeit) eine große Rolle und in Nowawes gab es starke radikale Kräfte, zum Beispiel aus dem anarchistischen Spektrum. Fakt ist, Wittenberge hatte Nowawes nun mit 272 zahlenden Personen in der Mitgliederzahl überholt. Es folgten Piła (Schneidemühl) mit 183, Brandenburg/Havel mit 172 und Luckenwalde sowie Eberswalde mit je 162 Mitgliedern. Insgesamt bewegte sich die Mitgliederzahl der Roten Hilfe Deutschland bei 527.222 Mitgliedern, die in über 1700 Ortsgruppen geführt wurden. Mit 78.315 Mitgliedern war der Bezirk Berlin-Brandenburg der weitaus größte Bezirk, gefolgt vom Ruhrgebiet mit 41.642.

Beispielhaft für die Aktivitäten, die die Ortsgruppen der Roten Hilfe im Bezirk Berlin-Brandenburg vor allem im Bereich der Wohlfahrt organisierten, waren zum Beispiel die Aufrufe für Weihnachtshilfe bzw. Weihnachtsfeiern, die ähnlich wie Sonnenwendfeiern und andere Feste, einen antikapitalistischen bzw. klassenkämpferischen Charakter haben sollten und nicht die kleinbürgerliche Sentimentalität und keine spießerhafte Liedertafel widerspiegeln sollten. So wurde es nicht nur im „Roten Helfer“ vom Dezember 1927 formuliert, sondern auch in der „Klassenjustiz“ vom November 1927 gab es einen Aufruf zur Weihnachtshilfe unter dem Motto „Helft den Nichtamnestierten! – Heraus zur Solidaritätsarbeit“. Der „Rote Helfer“ trug auch gleich ein Programm-Vorschlag für Weihnachtsfeiern vor:

„1. Rote Hilfe-Marsch.

2. Wir klagen an! (Kindersprechchor.)

3. Ansprache.

4. Ansprache durch die Frau eines politischen Gefangenen.

5. Lichtbildervortrag über das Kinderheim.

6. Bescherung.

7. Gemeinsamer Gesang: Brüder zur Sonne, zur Freiheit.

8. Kameradschaftliches Beisammensein.“

Anbei berichten wir über zwei Bespiele mit lokalem Bezug.

Beispiel aus der Zeitschrift Roter Helfer 4. Jahrgang, Nr. 4 April 1928:

„In Nowawes wurde eine Frau, die auf dem Wochenmarkt unsere Zeitung `Der Rote Helfer´ verkaufte, von der Polizei verhaftet und mit zur Wache genommen. Die Frau musste mehrere Stunden auf der Wache sitzen und nach Feststellung der Personalien und Beschlagnahme der noch in ihrem Besitz befindlichen 42 Zeitungen, wurde sie entlassen. Der Vorsitzende und Kassierer unserer Ortsgruppe gingen darauf am nächsten Tage zur Polizeiwache, beschwerten sich über die Verhaftung der Genossin und verlangten die sofortige Herausgabe der 42 `Roten Helfer´. Der Polizei-Kommissar gab sie dann auch heraus, erklärte aber unseren Genossen, dass der öffentliche Verkauf der Zeitungen ohne Gewerbeschein verboten ist. (Dies ist falsch. Im Jahrgang 1927, Nr. 11 S. 12 und Nr. 2, S. 10 haben wir zwei gerichtliche Entscheidungen veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass zum Vertrieb der `Rote Helfer´ kein Gewerbeschein notwendig ist. Wir weisen bei dieser Gelegenheit nochmals unsere Kolporteure und „Roten Helfer” auf diese Artikel hin, die gründlich informieren. Die Schriftleitung.)

Im Laufe des Gesprächs sagte er auch, dass der Verkauf dieser Nummer des `Roten Helfers´ (Nr. 2 v. Februar) überhaupt ohne polizeiliche Genehmigung eigentlich nicht stattfinden dürfe, da in der Zeitung ein Preisausschreiben veröffentlicht ist. Jede Zeitung ist daher als Los für 10 Pfg. zu betrachten und solch eine Lotterie bedarf einer besonderen Genehmigung. Unsere Genossen lachten ihm darauf hin aus, und der Kommissar erklärte, dass sie noch weiteres darüber hören werden.“

Beispiel aus Roter Helfer, 4. Jahrgang, Nr. 5 Mai 1928:

„Eine merkwürdige Amnestie-Kundgebung. Am Sonnabend, den 31.März 1928 hatte die Rote Hilfe in Rehbrücke eine Amnestie-Kundgebung einberufen, die im Saalbau am Bahnhof Rehbrücke stattfinden sollte; es war ein Lichtbild- Vortrag vorgesehen. In letzter Stunde verweigerte der Wirt jedoch den Saal, so dass die Sache zu scheitern drohte. Der RFB Nowawes, der inzwischen mit Kapelle angerückt war, durchzog mit Musik die Straßen von Rehbrücke und Bergfelde, wobei von den Genossen an die Einwohner fleißig Literatur und `Rote Helfer‘ vertrieben wurden. In Bergfelde vor einem kleinen Lokal, in dem unsere Genossen ihre Sitzungen abhalten, wurde Rast gemacht. Viele Einwohner waren gefolgt und standen nun dicht gedrängt vor dem viel zu kleinen Lokal, um alle fassen zu können. Flugs wurde aus dem Lokal ein Tisch geholt, der Apparat aufgestellt und an 2 Telegraphenmasten die Leinewand befestigt. Immer mehr Neugierige kamen, um dem sonderbaren Treiben zuzuschauen. Nachdem die Stromleitung zum Apparat verbunden war, leuchtete in riesigen Lettern in das Dunkel der Nacht der Titel des Lichtbildervortrages: „Zaristische Kerkergreuel“. Nachdem ein Genosse der Kommunistischen Partei auf die Wichtigkeit der kommenden Wahlen hingewiesen und mit dem Appell, zum 20. Mai nur der Kommunistischen Partei die Stimme zu geben, geschlossen hatte, ergriff der Referent der Roten Hilfe das Wort. Mit Spannung verfolgten die Anwesenden den vorüberziehenden Bildern und die Ausführungen des Redners. Auch das herbeigeeilte Landjägerkorps, das mit sehr gemischten Gefühlen dem sonderbaren auf der Straße zugeschaut hatte, reckte die Hälse, um sich auch ja kein Bild oder Wort entgehen zu lassen. (…)“

Folgende Nowaweser Arbeiterinnen und Arbeiter sind uns bisher als Mitglieder der Roten Hilfe bekannt:

Walter Apelt

Arthur Berkholz

Friedrich Bosse

Heinrich Byl

Otto Deinert

Georg Dürre

Franz Guggenberger

Walter Hartung

Walter Klausch

Alfred Kuhlow

Walter Hafrung

Alfred Lehnert

Wally Lehnert

Walter Lehnert

Ernst Lüdicke

Walter Markwardt

Anna Müller

Gertrud Müller

Ludwig Rott

Elfriede Schneemann

Alfred Schneider

Erna Schuster

Karl Seebergen

Otto Thiele

Kurt Vogel – Vorsitzender der Roten Hilfe Nowawes

Hermann Waldhelm

Gregor Westphal

Heinz Wuttke

Willy Zinnemann

Quellen:

Hans Litten Archiv

Roter Pionier

Schafft Rote Hilfe! – Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland (1919-1938), Bonn, 2003