Der Februar 1933 war ein Monat, in dem der Demokratie der Weimarer Republik durch ein unheilvolles Bündnis von Nationalsozialisten und Rechtsnationalen der Todesstoß versetzt wurde.
Für alle waren nun Terror und Unterdrückung sichtbar und an der Tagesordnung. Wir wollen den Blick auf landesweite Ereignisse von Machtetablierung, Terror und Unterdrückung richten, aber auch auf die lokale Ebene schauen.
Inmitten der sozialen und politischen Krise fanden im Jahr 1932 Reichstagswahlen statt, in der die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) die stärkste politische Kraft in Deutschland wurde. Noch war die politische Situation im „Roten Nowawes“ eine andere als im Deutschen Reich:
Reichstagswahl am 31.07.1932 in Nowawes:
SPD 32,1 %
KPD 24,5 %
NSDAP 29,2 %
Reichstagswahl am 06.11.1932 in Nowawes:
SPD 30,3 %
KPD 27,0 %
NSDAP 24,1 %
In der Stadt Potsdam hingegen erreicht die NSDAP die relative und zusammen mit den Deutschnationalen eine absolute Mehrheit.
Am 30. Januar 1933 wird Hitler im Bündnis mit der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt und die neue rechte Regierung vereidigt. Mit den Reichstagswahlen und der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler kommen Terror und Unterdrückung der politischen Gegner. Zugleich wird ein eigenes System etabliert, in dem nach und nach die demokratischen Strukturen zerschlagen bzw. „gleichgeschaltet“ werden. Nach dem 30. Januar wollen die Nationalsozialisten die errungene Macht nicht mehr abgegeben. Der Terror wird institutionalisiert, aber auch auf der Straße durchgesetzt.
So überfällt die Sturmabteilung (SA) der NSDAP, bestehend aus vielen „Kämpfern“ des Nowaweser Umlandes, am 1. Februar mit rund 60 Männern von einer Siegesfeier im Schützenhaus kommend, heutige Paul-Neumann-Straße/Ecke Lotte-Loebinger-Straße, ein Lokal des Gastwirtes Brodehl – der selbst NSDAP-Mitglied ist – in der Gartenstraße, bei dem unter anderem zwei Kommunisten durch Schüsse schwer verletzt werden. In den Augen der Nazis ist die Gartenstraße mit der sehr aktiven kommunistischen Zelle 6 geradezu ein Symbol der alten, zu zertrümmernden „bolschewistischen Gefahr“.
Am 2. Februar durchsucht die Polizei am Abend zwei Lokale der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in der Karl-Gruhl-Straße. Im Lokal von Reinhold Gebauer in der Karl-Gruhl-Str. 17 beschlagnahmen sie hergestellte Flugblätter, die den SA-Überfall in der Gartenstraße anprangern. Zudem werden acht Kommunisten verhaftet. Auch das Lokal des stadtbekannten Sozialdemokraten Otto Gebauer in der Nummer 62 schräg gegenüber wird durchsucht. Es ist der Treffpunkt der kommunistisch orientierten Rot-Sportler von Concordia, aber auch Tagungsort des SPD-Ortsvorstandes.
Am selben Tag werden in Preußen, Thüringen und anderen Ländern kommunistische Demonstrationen verboten. Auch der Potsdamer Regierungspräsident untersagt alle Versammlungen der KPD sowie ihrer Hilfs- und Nebenorganisationen unter freiem Himmel im Regierungsbezirk Potsdam, zudem auch Nowawes gehört. Auch öffentliche Kundgebungen der SPD, zu denen auch Anhänger der halblegalen KPD eilen, werden von der neuen Staatsmacht behindert. Beispielhaft ist die Verhinderung des Auftritts des Berliner SPD-Vorsitzenden Franz Küstler, eines ausgewiesenen Antifaschisten, auf dem Friedrichkirchplatz (Weberplatz). Seine Rede kann nur von einem anderen Genossen verlesen werden.
Eine gemeinsame antifaschistischen Gegenfront kommt aber auch in Nowawes nicht zustande. Zwar verteilen junge Kommunisten unter der Führung von Walter Junker und Walter Klausch vor dem Tor der Lokomotivfabrik von Orenstein & Koppel Flugblätter mit dem Aufruf zum Generalstreik, aber die Resonanz ist niederschmetternd. Weitere Streikaufrufe laufen auch deswegen ins Leere, weil der Großteil der Nowaweser Textilbetriebe aufgrund der Wirtschaftskrise seine Tore schließen musste. Auch die gut organisierte und vielfach vernetzte Sozialdemokratie im Ort glaubt noch an ein „vorübergehendes Übel“, dass bald abgewirtschaftet haben werde. Nach ihrem Tenor kann das „Rote Nowawes“ ja wohl nicht braun werden.
Doch genau dieser Sturm auf das Rote Nowawes vor den Toren des national-konservativ geprägten Potsdams wird für die NSDAP und ihre rechtsnationalen Verbündeten zur erhofften „symbolischen Befreiungstat“. Noch sind die Nowaweser NSDAP und ihre Sturmabteilung keine relevante Größen in der Auseinandersetzung mit den Arbeiterparteien. Der konservative Stahlhelm ist seit Jahren hingegen viel aktiver auf den Straßen von Nowawes unterwegs. Der Sturm muss gelingen – so der Schwur der neuen schwarz-braunen Allianz. Die Potsdamer müssen ran. So ziehen am 3. Februar ungefähr 2000 Mitglieder des Stahlhelms, der SA und der NSDAP mit Fackeln aus Potsdam kommend, ihre Gesinnungsgenossen aus Nowawes im Schlepptau, durch die Straßen der Arbeiterstadt. Dem Jubel vieler sich von der „Marxisten-Herrschaft“ befreit fühlender Nowaweser stellen sich am Rathaus Mitglieder der KPD entgegen. In den Zusammenstößen fallen auch Schüsse. Die rote Fahne, die in der Revolution 1918/1919 einmal vom Rathausbalkon wehte, ist nun durch eine Hakenkreuzfahne ersetzt.
Einen Tag später, am 4. Februar, ergeht eine Notverordnung des Reichspräsidenten Hindenburg, mit der er die Versammlungs- und Pressefreiheit eingeschränkt. Auch in der Polizei finden Umstrukturierungen statt. Gleich zu Beginn entlässt der kommissarische preußische Innenminister Hermann Göring Beamte und Polizisten und besetzt die Posten mit politisch liebsamen Kandidaten. Und weil weiterhin auf die Preußische Polizei nicht gänzlich Verlass ist, werden SA-Männer und Stahlhelmer auch aus Potsdam und Nowawes schnell zu Hilfspolizisten ernannt.
Mitte und Ende Februar wird das politische Klima immer rauer. Das wichtigste Informationsmedium der damaligen Zeit für die Nowaweser Arbeiterschaft – die Arbeiterpresse – wird temporär immer wieder verboten, bis dann mit dem Reichstagsbrand der sozialdemokratische „Vorwärts“ und das „Potsdamer Volksblatt“ der SPD und auch die kommunistische „Rote Fahne“ ihr Erscheinen einstellen müssen.
Am Abend des 27. Februars kommt es zu dem schon erwähnten verheerenden Brand im Reichstagsgebäude. Der Reichstagsbrand wird von den Nationalsozialisten genutzt, um die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ zu erlassen. Diese sogenannte Reichstagsbrandverordnung setzt fast alle Grundrechte außer Kraft und begräbt faktisch die Demokratie. Die staatlichen Behörden übernehmen die Verfolgung und Verhaftung der politischen Linken im Land, so auch in Nowawes. Die ersten Opfer werden Kommunisten sein.
Unter diesen Bedingungen sollen am 3. März Wahlen zum Reichstag und am 12. März die Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung stattfinden. Noch glauben beide Arbeiterparteien mit der Aufstellung umfangreicher Kandidatenlisten an eine Wende im Reich und eine fortwährende Dominanz in Nowawes. Bereits im Februar werden die Listen erstellt. Man marschiert getrennt, getragen von großer Hoffnung, in den Abgrund.
Reichstagswahl am 05.03.1933 in Nowawes:
SPD 27,8 %
KPD 22,1 %
NSDAP 33,3 %
DNVP/DVP 11,7 %
Wahl zur Stadtverordnetenversammlung am 12.03.1933 in Nowawes:
SPD 29,2 %
KPD 17,5 %
NSDAP 33,8 %
Deutschnational 12,0 %
Obwohl die Nationalsozialisten mit der Wahl keine absolute Mehrheit erreichen können, beherrschen sie nun die Parlamente, indem sie die der KPD zustehenden Sitze ihr aberkennen. Die gewählten KPD-Abgeordneten werden einfach nicht zur konstituierenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung (SVV) eingeladen. Die fünf Sitze bleiben leer. Die Sozialdemokraten nehmen dies stillschweigend zur Kenntnis, in der Hoffnung, dass die Demokratie doch noch siegen wird. Nur sind sie jetzt mit einer neuen erdrückenden Mehrheit aus Nazis und ihren rechtsbürgerlichen Steigbügelhaltern konfrontiert. Und die machen nun gemeinsam reinen Tisch. So bestimmt die erste „enthauptete“ SVV im April 1933 nicht nur den Nationalsozialisten Hans Kellnereit zum neuen Vorsteher, der langjährige sozialdemokratische Amtsvorgänger Paul Fleischmann hat zu dieser Zeit sein Abgeordnetenmandat schon niedergelegt, sondern man beschließt die Errichtung eines Kriegerdenkmals und die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Hitler und Hindenburg.
So ist auch in Nowawes in wenigen Wochen aus der Weimarer Republik mit ihren demokratischen Instanzen eine nationalsozialistische Diktatur geworden.