Der „rote Taxifahrer“ Paul Kühne

Quelle: Stadtarchiv Potsdam

Geboren wird Paul Kühne am 16.09.1908 in Nowawes. Er ist das vierte und älteste Kind einer typischen Nowaweser Arbeiterfamilie. Seine Eltern heißen Paul und Auguste Kühne, der Vater arbeitet als Rohrleger im Gaswerk, die Mutter ist Hausfrau. Die Wohnung befindet sich in der damaligen Kleiststraße 3, die seit 1950 nicht mehr nach dem General der Befreiungskriege Graf Kleist von Nollendorf heißt, sondern nach dem deutschen Dichter benannt ist.

Nach dem Besuch der Volksschule mit Beginn des Jahres 1914 (Gemeindeschule 3 Nowawes) in der Schulstraße lernte er ab 1922 bei der Lokomotivfabrik Orenstein & Koppel den Beruf des Maschinenschlossers. Sofort nach der Lehre wird er arbeitslos. Es ist sehr wahrscheinlich die Zeit, als er sich politisiert. Im Allgemeinen ist die Zeit sehr schwierig in den 1920er Jahren. Es gibt viele Entlassungen in den großen Fabriken von Nowawes und starke Arbeiter*innenkämpfe. Geprägt ist der Juni des Jahres 1923 zum Beispiel durch den Großen Berliner Metallarbeiterstreik, der auch in Nowawes große Unterstützung findet. Vor allem Frauen sind bei den sogenannten Teuerungsunruhen in Nowawes federführend, die umgangssprachlich auch als Kartoffelkrieg bezeichnet werden. Sie demonstrieren gegen steigende Lebensmittelpreise und plündern Marktstände. Die Polizei muss einschreiten und die Preise werden zurückgenommen. Die Zahl der Arbeitslosen steigt stetig und kann nur bedingt ausdrücken, wie prekär die soziale Situation in Nowawes war.

Er wird Mitglied der Roten Jungfront, der Jugendorganisation des Roten Frontkämpferbundes (RFB) und kurze Zeit später dann Mitglied im Roten Frontkämpferbund. Er lernt Englisch und hegt den Gedanken, in die USA auszuwandern. Es ist ein Traum vieler Arbeiter in jener Zeit. Die Rote Jungfront wird angeblich in Nowawes eher gegründet, als eine RFB-Gruppe. Die Gründung der RFB-Gruppe erfolgt im Jahr 1924 in der Gaststätte Hiemke, ab 1926 trifft sich der RFB in der Gaststätte Martin Schötz am Plantagenplatz. Über die Rote Jungfront gibt es einen Bericht, dass bereits bei der Gründung 85 Personen beteiligt waren. Außerdem gibt es einen Bericht einer Fahnenweihe der Roten Jungfront am Sonntag, den 20. September 1925, im Lindenpark. An diesem Tag wird auch das zukünftige Marschlied des RFB Nowawes vom Touristen-Verein-Nowawes präsentiert.

Ab 1927 wird das Lokal von Alfred Pelz in der Mühlenstraße für die Treffen und Feiern genutzt. Hier konnte auch die Schalmeienkapelle proben. Bei Alfred Pelz gab es einen mittelgroßen Saal, ein Vereinszimmer und einen Garten, in dem kleinere Sommerfeste mit Schießbudenbetrieb und Kinderkarussel durchgeführt wurden. Das Sammeln von Spenden und der Aufbau bzw. die Fortführung der Schalmeienkapelle ist eine der zentralen Aufgaben neben der politisch-militärischen Schulung. Im Zuge des sogenannten Berliner „Blutmai“ wird der RFB im Mai 1929 verboten. Es ist der Moment, in der Paul Kühne in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) eintritt. Trotzdem ist er weiter illegal als Ausbilder im RFB tätig.

Bereits kurze Zeit nach dem Verbot gibt es eine Hausdurchsuchung im Lokal Pelz. Jedoch müssen die Polizisten unverrichteter Dinge abziehen. Unter anderem sind alle Instrumente der Schalmeienkapelle bereits woanders versteckt. Paul Kühne ist Ausbilder eines RFB-Zuges. Im RFB wird fortan die militärische Komponente groß geschrieben. Nächtliche Übungen finden in den Ravensbergen statt. Ab 1930 gab es 5 Züge (je Zug 3 Gruppen und jede Gruppe bestand aus 5 Personen einschließlich des Gruppenführers). Eine der zentralen Aufgaben ist das Verstecken von Waffen, unter anderem in sicheren Wohnungen oder in Kleingartenanlagen. Paul Kühne hat kaum noch Freizeit und ist auch in die Arbeit mit anderen Ortsgruppen eingebunden (Potsdam, Geltow, Werder, Beelitz, Michendorf, Güterfelde und Rehbrücke). Seine Eltern wussten von den vielen Ausflügen mit dem Fahrrad aufgrund seiner politischen Tätigkeit bescheid, auch wenn sie damit nicht einverstanden waren. Der RFB war jedoch auch eine unsichere Organisation. Schon in seiner legalen Betätigungszeit gibt es immer wieder Diskussionen um die politische Ausrichtung und viele Versuche, auch Spitzel einzuschleusen. Einer dieser Spitzel sorgte schließlich für eine Verhaftungswelle, direkt nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten.

Die erste Verhaftung und Verurteilung in Potsdam erfolgt. Es gibt eine Anklage wegen Verbrechen gegen das Kriegsgerätegesetz und Fortführung einer verbotenen Organisation, was 1933 zu einer Verurteilung zu 1 Jahr und 2 Monaten führt. Paul Kühne kommt unter anderem in die Emslandlager KZ Papenburg und KZ Esterwegen. Dort muss er schwere Arbeit mit Moor leisten, die zu einer schweren Krankheit führt. Seine Entlassung erfolgt im Frühjahr am 11. März 1935. In Nowawes setzt er seine illegale antifaschistische Tätigkeit fort, obwohl er unter Gestapoaufsicht gestellt wurde. Dies bedeutet, dass er sich alle drei Tage bei der Gestapo melden muss. Er arbeitete als Taxifahrer am Potsdamer Hauptbahnhof und konnte deswegen Material- und Personentransporte sowie Kurierdienste, z. B. Fahrten an die Grenze der CŜR oder nach Berlin, durchführen. Aus diesem Grund erhält er seinen Beinamen als „Roter Taxifahrer“.

BNN, 18.05.1988

Paul Kühne drohte eine erneute Verhaftung und er wollte den Kampf gegen den Faschismus in Spanien fortsetzen. Es kursieren Aufrufe der Kommunistischen Partei, sich dem Freiheitskampf in Spanien anzuschließen. Am Abend vor der Abreise treffen sich Paul Kühne und sein Kampfgenosse Kurt Vogel bei Elfriede Schneemann. Hier planen sie ihre weiteren Schritte. Elfriede Schneemann ist ihre Verbindungsperson. Es erfolgt der Grenzübertritt zur CŜR, für die Reise nach Spanien ist jedoch ein längerer Aufenthalt wegen der herzustellenden Pässe nötig und so reisen sie am gleichen Wochenende wieder zurück nach Potsdam ab. Es wird vereinbart, dass ein Telegramm mit nichtigem Inhalt der KPD-Zentrale in Prag an Elfriede Schneemann geschickt wird. Es ist das Zeichen, dass die Papiere nun vorhanden sind und eine erneute Ausreise geschehen kann. Die illegalen Grenzübergänge bei Klingenthal werden durch die Nowaweserin Maria Dotzauer organisiert. Ihr Mann ist Franz Dotzauer. Er wurde in einer revolutionären Arbeiterfamilie geboren. Wie sein Bruder leistete er aktive politische Arbeit in Potsdam, nach dem Machtantritt der Nazis auch illegal. Er wurde verhaftet und nach einer Strafe von einem Jahr und 4 Monaten als tschechoslowakischer Staatsbürger ausgewiesen.

Als Geschäftsmann getarnt geht die Reise der beiden von Prag nach Österreich, in die Schweiz und schließlich nach Bordeaux in Frankreich. Von hier wollen sie mit dem Schiff nach Spanien. In Form einer Postkarte senden sie ein Lebenszeichen an Elfriede Schneemann. Da beide nun steckbrieflich gesucht wurden war der Inhalt harmlos und an das Lokal Hangebrock in Potsdam adressiert. Dort arbeitete der Mann von Elfriede Schneemann als Kellner. Sie geben sich auf der Karte als Besucher der Olympischen Spiele in Berlin aus und bedanken sich für die vorzügliche Bewirtung in dem Lokal. Durch die Handschrift wusste Elfriede Schneemann über ihr Wohlergehen und Aufenthaltsort bescheid.

Wichtig für die Aufnahme in den Internationalen Brigaden war vor allem die persönliche Ausbildung. Paul Kühne hatte Kenntnisse im Waffenwesen (RFB), eine Ausbildung als Maschinenschlosser und englische Sprachkenntnisse durch sein Selbststudium. Vom Aufstellungsort der Internationalen Brigaden in Albacete teilte man ihn aufgrund seiner Sprachkenntnisse in Englisch als Fahrer eines Panzerspähwagens in die XV. Internationale Brigade ein. Später setzte man ihn als Chef einer Sanitätswagen-Kolonne beim Stab der 35. und der 45. Division ein. Mit seinen Einheiten war er an den Kämpfen um Madrid, bei Brunete, im Aragón, während der Winterschlacht bei Teruel und am Ebro beteiligt. Zuletzt war er Panzerfahrer in der XIII. Internationalen Brigade. Die Überquerung der Grenze nach Frankreich erfolgte im Februar 1939 und wurde dort unter anderem in Argelès-sur-Mer und in Gurs interniert. In Port-Bou gibt es wohl auch ein Wiedersehen mit Kurt Vogel.

1941 wurde er von der Garde Mobile aus der Festung Mont-Louis nach Chalon-sur-Saône im Département Saône-et-Loire in der Region Burgund gebracht und dort dem SD übergeben. Es ist einer jener Transporte, in welchem die Nationalsozialisten bei freiwilliger Kooperation ein „freies und normales Leben“ in Nazi-Deutschland versprechen. Dies ist jedoch ein Trugschluss. Im März 1941 gibt es einen Transport mit rund 250 Interbrigadisten nach Karlsruhe, von wo aus er nach Potsdam ausgeliefert und schließlich der Gestapo übergeben wird.

Es gibt Dokumente, die seine Verhaftung am 27.04.1941 durch die Polizeidienststelle Karlsruhe belegen. Vermutlich bis zum 18.07.1941 ist er im Polizeigefängnis Potsdam inhaftiert, vom 18.07.1941 bis 31.10.1942 dann im Gefängnis Berlin-Tegel. Wiederum am 31.10.1942 erfolgt wahrscheinlich seine Überführung nach Potsdam. Belegt ist eine Hauptverhandlung am Kammergericht Berlin am 01.04.1942: „In Potsdam im Jahre 1936 das hochverräterische Unternehmen durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung des Reiches zu ändern, vorbereitet zu haben, wobei die Tat darauf gerichtet war, zur Vorbereitung des Hochverrats einen organisatorischen Zusammenhalt herzustellen oder aufrecht zu erhalten.“ Er wird zu 2 Jahre Gefängnis verurteilt.

Sein Bruder Erich Kühne gibt in einem Befragungsprotokoll von vorzeitiger Haftentlassung im Juni 1943 zur Kenntnis. Er beruft sich auf Notizen seiner Eltern. Aber auch ein Brief von Paul Kühne an die Eltern vom 29.08.1943 aus Russland gibt Aufschluss, wann er ungefähr in das sogenannte Bewährungsbataillon 999 (Strafdivision 999) einberufen wurde. Zuvor berichtete er wohl bei seinem letzten Kontakt zur Mutter und Schwester von der Absicht, zur Roten Armee überlaufen zu wollen. Seinen Einsatz hat er an der Ostfront. Es existierten zwei Briefe an seine Familie aus dem Januar und April 1944 aus Bialystok. Zudem schrieb er seinem Freund Kurt Vogel, der im KZ Buchwald inhaftiert war. „Der Iwan macht Rabatz“, heißt es dort in einem letzten Brief vom 14.01.1945. Für Kurt Vogel ist es das Zeichen des Versuchs zum Überlaufen zur Roten Armee. Anfang 1945 erhält die Familie eine Nachricht eines Oberzahlmeisters des Bataillons mit der Vermisstenmeldung.  

Paul Kühne stirbt in den letzten Kriegsmonaten und erlebt die Befreiung vom Nationalsozialismus nicht mehr.

In der Erinnerungspolitik der DDR hatte Paul Kühne einen hohen Stellenwert, weil er als einfacher Arbeiter verschiedene revolutionäre Tugenden verband und symbolisch für den kommunistischen, antifaschistischen und internationalistischen Kampf stand. Zudem ließ er in diesem Kampf sein Leben. Gewürdigt wurde er gemäß der antifaschistischen Staatsdoktrin in den Medien, bei politischen Veranstaltungen, in der schulischen und außerschulischen Bildung, in der Benennung von Einrichtung und/oder staatlichen Organisationen wie Brigaden und Kollektiven. So bekam die POS 17 in der Schulstraße 1966 den Namen „Paul Kühne“, ein Kollektiv der Eisenbahner am damaligen Bahnhof Drewitz und auch eine Brigade des Karl-Marx-Werkes hießen nach ihm. Nachdem der Name Paul Kühne in der Erinnerungs- und Gedenkpolitik lange keine Rolle mehr gespielt hat, soll nun wieder eine Würdigung für ihn und die Aufarbeitung der Geschichte des Roten Nowawes erfolgen. Dazu gab es eine Pflegeaktion am Gedenkstein für Paul Kühne, einen Vortrag und auch einen Brief an den Eigentümer des Geländes, auf dem sich der verwaiste Gedenkstein befindet.