Das Arbeiter-Sport- und Kultur-Kartell Nowawes Die Bildung von Sport- und Kulturvereinen in Nowawes und Neuendorf blieb in der Kaiserzeit weitestgehend in den Händen „bürgerlicher“ oder konfessioneller Träger, so z. B. der „Mähliss`sche Männergesangsverein Nowawes“ von 1861, der „Männergesangsverein Liederkranz Nowawes“ von 1873 oder der „Männergesangsverein Deutsches Lied“ von 1879.
Erst mit dem Erstarken der Sozialdemokratie und dem damit einhergehenden selbstbewussten Arbeitermilieu erblickten im ausdrücklichen Kontrast zum vorhandenen Vereinswesen auch eine Vielzahl von Arbeiterkultur- und Sportvereinen das Licht der Welt. Wegen ihres Beitritts zu Dachorganisationen der Arbeiterbewegung im Berliner Großraum, in Preußen oder gar in ganz Deutschland hatte sie vor dem Ende des Kaiserreiches keinerlei Unterstützung durch kommunale Behörden. Nach der Ausrufung der Republik und deren Konsolidierung gab es auch in Nowawes eine neue Entwicklungsdynamik in der Arbeiterkultur- und sportlandschaft, die sich weiterhin als grundsätzliches Gegensystems zu den etablierten „bürgerlichen“ Vereinen verstand. Um das Gewicht der Vielzahl der Vereine der Arbeiterbewegung gegenüber der Stadtverwaltung zu erhöhen und gleichzeitig den Versuch zu unternehmen, gemeinsame kulturelle und sportliche Veranstaltungen für die Nowaweser Öffentlichkeit durchzuführen, gründeten am 08.06.1925 im Volkshaus von Singer in der Priesterstraße Vertreter der Arbeiterkultur und des Arbeitersports das Arbeiter-Sport- und Kultur-Kartell (ASKK) Nowawes als eine Art Dachorganisation. Zum ersten Vorsitzenden wurde der Sozialdemokrat Karl Kunstmann gewählt, wobei anzumerken ist, dass laut überlieferten Protokoll im Kartell jeder mit „Genosse“ angesprochen wurde. Vielleicht fiel die Wahl auf Kunstmann auch deshalb, weil gerade zur Gründung des Kartells der neue von Arbeitersportlern der FTSV 1894 geschaffene Sportplatz an der Priesterstraße (heute Karli) unter seiner Regie geschaffen wurde, da er wenig später dort auch fest angestellter Platzwart wurde.
Nachweislich waren folgende Vereine bis 1933 ständig oder zeitweise Mitglied im Kartell:
- Freier Männerchor – Freier Frauenchor – sozialdemokratische Kinderfreunde – sozialdemokratische Sozialistische Arbeiterjugend – sozialdemokratische Jung-Sozialisten – Arbeiterabstinenten – Freie Turn- und Sportvereinigung „Frisch Auf“ 1894 – Radfahrerverein „Solidarität“ – Kommunistische Jugend – Tourismusverein „Naturfreunde“ – Arbeiter-Samariter – sozialdemokratische Arbeiter-Wohlfahrt – Arbeiter-Schach – Mandolinenvereinigung – Arbeiter-Radio-Klub – Arbeiter-Esperanto-Klub – Verein der Freidenker – kommunistische Rote Hilfe – Chor „Einigkeit“
Auf der konstituierenden Sitzung wurde neben Kunstmann die Sozialdemokraten Wilhelm Schulz aus der Marienstr. zum 2. Vorsitzenden, Walter Vanicek aus der Priesterstr. zum Schriftführer und Fritz Ebel als Kassierer gewählt. Hinzu traten Erich Henning für die Kinderfreunde. Im Kartell wirkten weiterhin mit: Dr. Otto Runge, Oberschulrat an der Althoffschule, K. Zilias von der FT 1894, der später zum kommunistisch orientierten Arbeitersportverein Concordia 06 wechselte und somit aus dem ASKK ausschied. Im ASKK wirkten weiterhin Paul Rottstock, Fritz Walter, der Kommunist und Stadtverordnete Ewald Messerschmidt, Max Kulbe für die Freidenker, der Schlosser Ernst Vespermann von den Arbeitersamaritern und Frau Bathe von der Arbeiterwohlfahrt mit. Nach dem Tod von Vanicek übernimmt Erich Lüscher von der SAJ kurzzeitig dessen Funktion, verlässt nach seinem Übertritt zum KJVD 1928 aber das Kartell. Reinhold Simon übernimmt dann die Funktion des Schriftführers.
Der „Bruderkampf“ – wie er selbst in den überlieferten Protokollbüchern des ASKK genannt wird – zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten führte immer wieder zu Auseinandersetzungen über die Ausrichtung und das öffentliche Auftreten des Kartells, was ja mehrheitlich auch darauf ausgerichtet war, bei der Stadtverwaltung Akzeptanz zu gewinnen. So beschloss man z.B. mehrheitlich bei Aufzügen und Festen des Kartells keine Parteifahnen mitzuführen. Auch war das kostenlose Verteilen des sozialdemokratischen Potsdamer Volksblattes umstritten. Letztendlich einigte man sich darauf, sowohl im PVB als auch in der kommunistischen Roten Fahne zu inserieren. Der Arbeitersamariterbund verpflichtete sich alle Veranstaltungen des ASKK kostenfrei zu begleiten.
Eine der ersten Initiativen des AKKK war 1925 eine Kultur- und Sportwoche in Nowawes, an der sich alle Mitgliedsorganisationen beteiligten. Zum Abschluss der Woche kam es zu einem Festumzug. Man traf sich auf dem Friedrichkirchplatz, zog dann weiter über die Mittel-, Plantagen-, Linden-, York-, Kleist-, Großbeeren-, Eisenbahner-, Priester-, Friedrich- und Wilhelmstraße zum Park Babelsberg. Um 15.00 Uhr fand dort ein großes Fest statt. Der Tag endete in den Klemmschen Festsälen, wo der Gesangsverein und der Mandolinenverein ein Konzert gaben. Im Nowaweser Ortsausschuss für Jugendpflege, der „bürgerlich“ dominiert war und vom Fabrikdirektor von Orenstein & Koppel, Fanselau, geleitet wurde, waren neben dem Gewerkschaftskartell aus dem ASKK nur die Arbeiterwohlfahrt und die Kinderfreunde mit Sitz und Stimme vertreten. In den Kommissionen für die Badeanstalt und für Leibesübungen wurde das Kartell durch den FTSG 1894 und in der Kommission für Jugendbildung durch den kommunistischen Stadtverordneten und Leiter des Arbeiter-Esperanto-Klubs, Richard Schulz vertreten. Der ein Schwerpunkt des ASKK die Entwicklung des neuen Sportgeländes an der Priesterstr. war, zu dem dann auch eine Sportbaracke und eine Jugendherberge gehörten, befürwortete er auch den Antrag der Arbeitersamariter, um dort einen Raum zu erhalten.
Im März 1926 läuft im ganzen Reich das Volksbegehren „Enteignung der Fürstenvermögen“, ursprünglich von der KPD initiiert, dann, wenn auch zögerlich vom ADGB und der SPD unterstützt. Am 1. März wendet sich das sozialdemokratische Reichsbanner „Schwarz-Rot-Gold“ und das Einheitskommitee an das ASKK mit der Bitte, sich an einer Veranstaltung gegen die Fürstenabfindung zu beteiligen. Unter der Bedingung, dass sich die beiden Arbeiterparteien ebenfalls gemeinsam zu Unterstützern erklären, ist das ASKK bereit, an der Veranstaltung mitzuwirken. Ein völlig neues Betätigungsfeld erhält das Kartell durch den Lehrer und sozialdemokratischen Stadtverordneten Bruno La Grange: das Kartell möge doch für Nowaweser Kinder die atheistische Jugendweihe ausrichten. Mit großem Engagement kommen die Mitglieder des ASKK dieser Bitte nach und schon am 27.03.1927 konnte die erste Jugendweihe-Feier mit 60 Kindern im Thalia-Kino stattfinden. In der Jugendweihekommission wirken insbesondere die FTSV 1894, die SAJ, der Mandolinenverein, die Naturfreunde und der Männergesangsverein mit. Neben der Organisation von Jugendweihe-Feiern veranstaltet des ASKK auch Schulentlassungsfeiern und proletarische Feierstunden am 2. Weihnachtsfeiertag. Veranstaltungsorte sind neben dem Thalia auch die Aula des Realgymnasiums. Eine Ferienfahrt nach Stettin mit dem Dampfer „Baldur“ wird ebenfalls vom ASKK durchgeführt.
1926 entspann sich eine Kontroverse wegen des Aufnahmeantrags der kommunistischen Roten Hilfe. Erst nach Vorlage des Statutes konnte die Mitgliedschaft mit 5 Ja-Stimmen bei 3 Enthaltungen bestätigt werden. Einzelne ASKK-Mitglieder spendeten Einnahmen aus ihren Veranstaltungen und Aktionen sozialen Projekten. So spendete der Mädchen- und Frauenchor die Erlöse aus einem Konzert der weltlichen Sammelschule in Nowawes und die Rote Hilfe die Gelder ihrer Winterhilfe-Sammlung den Kinderheimen in Elgersburg und Worpswede. Die neue Jugendherberge am Sportplatz war Treffpunkt des ASKK und für viele seiner Mitglieder. Die Rote Hilfe traf sich im Saal des Feuerwehrdepots und veranstaltet am 23.04.1927 in den Klemmschen Festsälen ein Deutsch-Russisches Konzert.
Zum Ende der 20er Jahre hin kam es zur Spaltung der Arbeitersportbewegung, die auch vor dem Nowaweser ASKK nicht Halt machte. Erfolgte in den Jahren 1925–1927 noch eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den beiden ideologischen Strömungen in der Arbeitersportbewegung in dem z.B. auf dem Bundestag des ATSB 1926 der Beschluss gefasst wurde, dass jeder Arbeitersportler ein Mitglied der KPD oder SPD sein sollte, ließen die Entwicklungen im internationalen Verkehr der Arbeitersportbewegungen alte Konflikte jedoch schnell wieder aufflammen. Mit dem Abbruch der Sportbeziehungen des ATSB zur Sowjetunion im Sommer 1927 und dem Bekenntnis der Luzerner Sportinternationale (LSI) zur Sozialdemokratie wurden die Auseinandersetzungen wieder fortgeführt und man warf sich gegenseitig vor, die Spaltung der Arbeitersportbewegung im Sinne zu haben. Der 16. Bundestag des ATSB 1928 stand ganz im Zeichen der bevorstehenden Spaltung. Letztendlich wurden folgende Beschlüsse gefasst, die diese besiegelten: Verbot der Teilnahme an Sportveranstaltungen der Sowjetunion, Abbruch der Beziehungen zur KPD und deren Institutionen, Berechtigung des Bundesvorstands des ATSB, in eigener Verantwortung Ausschlüsse vorzunehmen. Nach der Spaltung in der deutschen Arbeitersportbewegung gründeten die ausgeschlossenen Mitglieder und Vereine am 26. Mai 1929 die “Interessengemeinschaft zur Wiederherstellung der Einheit im Arbeitersport” (IG), die den Sportbetrieb der kommunistischen Mitglieder aufrechterhalten sollte. Im Dezember 1930 wurde diese in „Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit“ (KG) umbenannt. Diese stark an die KPD gebundene Organisation schloss sich der Roten Sportinternationale (RSI) an. (Q: Wikipedia). Den überlieferten Protokollheften des ASKK sind seit 1928 nur noch wenige Informationen über Vereinsaktivitäten zu entnehmen. Die Kommunistische Jugend und andere Mitgliedervereine aus dem Umfeld der KPD finden keine Erwähnung mehr. Beispielhaft ist die Entwicklung im Arbeiterfußballsport. Die im Mai 1919 fusionierten Arbeitersportvereine Freier Turner Nowawes und Concordia 06 Nowawes zur Freien Turn- und Sport-Vereinigung Nowawes 1894 wurde im Zuge der Spaltung der Arbeitersportbewegung seit 1928 wieder in Frage gestellt. Die FTSVgg Nowawes 94 blieb bundestreu, d.h. im sozialdemokratisch geführten ATSB, aber ein erheblicher Teil der Mitglieder und der größere Teil der Fußballsparte fühlten sich zur kommunistischen Opposition hingezogen und gründeten 1928 den ASV Concordia 06. Die 94er spielten in der neuen Spielvereinigung des 1. ATSB-Kreises, Concordia blieb der Märkischen Spiel Vereinigung, die ebenfalls aus dem ATSB ausgeschlossen wurde, treu. Die aus dem ATSB ausgeschlossenen Vereine organisierten sich nun unter dem Dachverband der Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit, dem sogenannten Rotsport. Die Gaststätten beider Nowaweser Arbeitervereine lagen in der Karl-Gruhl-Straße nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Concordia traf sich bei Robé und Nowawes 94 bei Hiemke. Beide Vereine teilten sich die Plätze an der Priesterstraße und blieben den Farben Rot und Weiß treu.
Aufgrund ihrer Nähe zur KPD schieden auch der Nowaweser Arbeiter-Esperanto-Klub, die Naturfreunde und die Arbeitersamariter aus dem ASKK aus. 1930 waren im ASKK für den Sportbereich Fritz Ebel und Albert Richter und für den Kulturbereich Ewald Henkel von den Kinderfreunden und Karl Kunstmann verantwortlich. Nunmehr war das Kartell nur noch im sozialdemokratischen Milieu aktiv und gestaltete am 15.03.1930 zusammen mit der Nowaweser SPD einen Arbeiter Sport- und Kulturtag. Am 08.11.1931 veranstaltetet es mit der SPD und dem ADGB in dem Kino Scala in der Priesterstraße die Revolutionsfeier. Die Festrede hielt der SPD-Reichstagsabgeordnete Kurt Heinig. Noch am 06.02.1933 traf sich der Vorstand des ASKK in der Jugendherberge unter Vorsitz von Fritz Springer, dem Schriftführer Otto Schumann – der die Protokollbücher nach 1945 dem Heimatmuseum Potsdam übergab, dem Kassierer Max Kuntze, dem Beisitzer Richard Ertel und den Revisoren Grabow und Schulz. Beendet wurde die letzte Sitzung vor dem Verbot der SPD am 22.06.1933 mit dem Kampfruf „Freiheit!“.