Die Befreiung von Babelsberg im April 1945

Zum 75. Jahrestag der Befreiung haben wir unter https://1945.rotes-nowawes.de eine Sonderseite zum Thema eingerichtet.

Mit dem Jahr 1944 rückte die Front immer näher an das Kerngebiet des Deutschen Reiches und somit auch an Potsdam-Babelsberg heran. Im Herbst 1944 wurden die Reichsgrenzen im Osten wie im Westen überschritten und im Januar 1945 begann die Weichsel-Oder-Offensive der Roten Armee. Die von Marschall G. K. Shukow befehligte 1. Belorussische Front und die von Marschall I. S. Konew kommandierte 1. Ukrainische Front rückten weit in Richtung Berlin vor und Ende Januar erreichten Einheiten der 1. Belorussischen Front die Oder.

Die Schlacht um Berlin wurde am 16. April eröffnet. Während die 1. Belorussische Front über die Oder in Richtung Seelower Höhen vorsetzte, begann die 1. Ukrainische Front weiter südlich ihre Offensive mit dem Ziel, sich westlich von Berlin mit der 1. Belorussischen Front zu vereinigen und die Hauptstadt einzukesseln. Durch die 1. Ukrainische Front gelang bei Cottbus rasche Geländegewinne, so dass ein Einschwenken von Süden her auf Potsdam und Berlin angeordnet wurde. So heißt es in der Direktive 00215 an die Truppen der 1. Ukrainischen Front vom 18. April 1945 unter dem Punkt 2 an den Oberbefehlshaber der 4. Panzerarmee, dass „Potsdam und der Südwestteil Berlins in der Nacht zum 21. IV. 45 zu nehmen sind“. (I. S. Konew, Das Jahr fünfundvierzig, Berlin 1982, S. 127 f. und Klaus Scheel, Die Befreiung Berlins 1945, Berlin 1985, S. 92) Schon am 22. April stießen Kräfte der 1. Ukrainischen Front in Richtung Teltowkanal bei Lichtenrade vor und andere Einheiten erreichten Saarmund. Damit war Babelsberg fasst erreicht.

In dieser Situation, geprägt von Angst und Sorge, aber auch Hoffnung und Tatendrang, ergriff eine Babelsberger NKFD-Widerstandsgruppe (NKFD = Nationalkomitee Freies Deutschland), die sich seit dem Herbst 1944 konstituiert hatte, die Initiative. So hatte sich um Alfred Lehnert und anderen Antifaschisten bereits im Jahr 1942 eine illegale KPD-Organisation gebildet, der 1941 nach einer dreieinhalbjährigen Haft aus dem Zuchthaus entlassen wurde. Die KPD fasste im Sommer 1944 den Beschluss, dass Mitglieder der KPD in Kadergruppen und NKFD-Kampfgruppen zusammengefasst werden sollten. Rund 15 Personen umfasste die NKFD-Gruppe, zu der KPD-Mitglieder, aber auch Sozialdemokraten und Parteilose gehörten. Über Albert Richter, einen alten sozialdemokratischen Schlosser bei Orenstein & Koppel, stellten sie die Verbindung zu den sowjetischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen her. (Bezirksleitung Potsdam der SED, Helle Sterne in dunkler Nacht, Potsdam 1988, S. 109)

Schon zuvor, kurz nach der Bombardierung Potsdams am 14.4.1945 durch US-amerikanische und britische Bomberverbände, gab die NKFD-Gruppe in Babelsberg ein Flugblatt heraus, in der die Bevölkerung, besonders jedoch der Volkssturm aufgefordert wurde, mit dem Krieg Schluss zu machen und eine Front des Friedens zu bilden:

„Auch unsere Stadt ist nun dem wahnsinnigen Krieg der faschistischen Bluthunde zum Opfer gefallen. Viele Tausende tote Frauen und Kinder klagen an, rufen Euch zu: Schluss mit dem imperialistischen Krieg! Schluss mit dem Massenmörder Hitler! Erkennt endlich Eure Feinde! Verlasst den Volkssturm! Werft die Waffen weg! Haltet weiße Fahnen bereit und folgt den Anweisungen der Besatzungsbehörde!… Kämpft mit uns für ein demokratisches Deutschland!“

(Bezirksleitung Potsdam der SED, Geschichte der Landesparteiorganisation Brandenburg der SED 1945-1952, Potsdam 1985, S. 18/19)

Ein weiteres Flugblatt wurde produziert und in der in der Nacht zum 23. April bzw. am Morgen des 24. April in Babelsberg vom Jungkommunisten und Stiefsohn von Alfred Lehnert, Charlie Vogel verteilt. Die Bedingungen der Produktion und Verteilung der Flugblätter waren höchst schwierig und gefährlich. Auf Matrizen wurden die Flugblätter geschrieben, die Nina Nina Netschitailo und andere Zwangsarbeiterinnen aus den Beständen von Orenstein & Koppel besorgten und auch an der Vervielfältigung beteiligt waren. Die notwendige Schreibmaschine stellte Gertrud Müller, die ihre Laube ebenfalls in der Laubenkolonie „Naturfreunde“ an der Bahnhofstraße Nähe zum Bahnhof Drewitz hatte. (Helle Sterne in dunkler Nacht, S. 115) Ihren Weg fanden die in ihrer Anzahl begrenzten Flugblätter in der Nacht an Zäune und Häuserwände.

Auf dem zweiten Flugblatt des „Komitee Freies Deutschland“ heißt es:

Tagesbefehl!

Bürger von Potsdam! Volkssturmmänner!

Der Kampf um Berlin geht seinem Ende entgegen! Schon marschiert die Rote Armee über Güterfelde auf unsere Stadt. Die Naziverbrecher getürmt. Unsere „glorreiche“ Armee in wilder Flucht.

Volkssturmmänner! Wir fordern euch auf, jeden Widerstand sofort einzustellen!

Verlasst sofort den Volkssturm! Rettet das Leben Eurer Frauen und Kinder!

Haltet weiße Fahnen bereit! Jeder Widerstand ist ein Verbrechen! Wer diesem Befehl nicht Folge leistet, wird erschossen!

Tod dem Sippenmörder und Werwolf Adolf Hitler!

Komitee Freies Deutschland

(Die Befreiung Berlins 1945, S. 129)

Charlie Vogel dazu in einem Erinnerungsbericht: „Teile der sowjetischen Truppen näherten sich in westlicher Richtung Teltow und Güterfelde. In dieser Zeit kam es zu lebhaften Diskussionen in der Babelsberger Widerstandsgruppe, was wir tun könnten, um Babelsberg der Sowjetarmee kampflos zu übergeben und weitere Zerstörungen zu verhindern. An der Einfahrt nach Babelsberg hatte der damalige faschistische Volkssturm eine Panzersperre errichtet. (…) Eine halbe Kompanie Babelsberger Volkssturm bewachte diese Sperre. Die Babelsberger Widerstandsgruppe fasste den Entschluss, diese Panzersperre zu beseitigen.“ (Von Kügelgen, Die Front war überall. Erlebnisse und Berichte vom Kampf des NKFD, Berlin 1983, S. 478 ff.) Zur Unterstützung hatten sie acht sowjetische Kriegsgefangene, die um den 20. April 1945 aus einem Lager wegen ihrer Gefährdung der Verlegung in den Westen geflüchtet waren. Sie kamen in der Laube von Charlie Vogel und Alfred und Wally Lehnert unter, die sich in der Sparte Naturfreunde am Bahnhof Drewitz in der Bahnhofstraße 53 befand.

In der unmittelbaren Nähe der Laube von Alfred Lehnert gab es auch andere Lager, in denen Zwangsarbeiter untergebracht waren. So gab es in der Großbeerenstraße 215-217 ein Lager von Frieseke & Höpfner mit 500 Plätzen sowie nur einen Steinwurf entfernt in der Großbeerenstraße 237 ein weiteres Lager mit 162 Plätzen. (Almuth Püschel, Zwangsarbeit in Potsdam, Wilhelmshorst 2002, S. 45). Zur anderen Seite grenzten diese beiden Lager an die Laubenkolonie Naturfreunde in der Bahnhofstraße, wo einige Antifaschisten wie die Lehnerts ihre Lauben hatten. Gut vorstellbar, dass durch diese geographische Nähe ebenfalls der Kontakt erleichtert wurde. Charlie Vogel erwähnt dies in einem persönlichen Bericht im Buch „Die Front war überall“. (Die Front war überall, S. 478) Die ukrainische Zwangsarbeiterin Nina Netschitailo, die die Bekanntschaft mit dem Kommunisten Alfred Lehnert und seiner Ehefrau im April 1943 machte, war oft dort zu Hause. Nachrichten, besonders die Lage an der Front vom Radiosender Moskau bekam sie mit und übermittelte sie schließlich im Lager. „Oft halfen wir Lehnert beim Anfertigen von Flugblättern, brachten ihm Papier und anderes Pressematerial aus der Fabrik mit. Über unseren Genossen Anatoli Koplik hielt Alfred Lehnert die Verbindung zu sowjetischen Gefangenen aufrecht.“ (Helle Sterne in dunkler Nacht, S. 115)

Doch zurück zur Aktion der Beseitigung der Panzersperre. Charlie Vogel beschreibt, dass über Umwegen die deutschen Genossen und die sowjetischen Kriegsgefangenen zur Panzersperre durchkommen versuchten. „Durch besonders glückliche Umstände war die Panzersperre nicht stark besetzt. Es befanden sich nur zwei Volksturmleute als Wache dort, die schnell entwaffnet waren. Gemeinsam mit den sowjetischen Kriegsgefangenen wurde die Sperre beseitigt.“ (Die Front war überall, S. 479) Leutnant Wulkow, er war mit anderen Zwangsarbeitern in der Laube von Lehnert versteckt worden und galt als Wortführer, und der russisch verstehende Hans Eichler gingen schließlich den bei Güterfelde stehenden Truppen der Roten Armee entgegen und berichteten über ihre Aktion. Gerda Ziebell berichtet in einem Heft von Helga Bornstädt, dass Wolfgang Schumann mit Lehnert und Eichler den Soldaten entgegen ging. „Wolfgang Schumann war bei der Aktion sehr wichtig, weil er die russische Sprache beherrschte.“ (Helga Bornstädt, Mit dem Frühling kam der Frieden, Potsdam 2005, S. 3) In einer anderen Quelle wird der Anführer der sowjetischen Kriegsgefangenen mit vollem Namen, Semjon Wulkow, erwähnt und der deutsche Antifaschist Heinrich Eichler genannt. (Geschichte der Landesparteiorganisation Brandenburg der SED 1945-1952, S. 17) Bei der beseitigten Panzersperre verblieben schließlich die anderen, bewaffnet mit einigen Pistolen und einem italienischem Maschinengewehr, wie es Charlie Vogel beschreibt.

Gegen Mitternacht erreichten Panzer aus Güterfelde kommend den Ort. „Der kommandierende sowjetische Offizier machte den Vorschlag, einen Genossen zum sowjetischen Kriegsgefangenenlage zu schicken.“ (Die Front war überall, S. 479) Charlie Vogel berichtet dann weiter, dass er auserkoren wurde, das Lager aufzusuchen. Er bekam eine schriftliche Mitteilung des sowjetischen Offiziers und schlich sich durch die deutschen Reihen. Es ist allerdings unklar, wie stark die Verbände von Wehrmacht und SS im Raum Drewitz waren. Jedenfalls überbrachte der junge Charlie Vogel den Brief an die sowjetischen Genossen und verschwand mit Erfüllung des Auftrages wieder. Er beschreibt, dass vier Stunden später im Lager der Aufstand bzw. die Selbstbefreiung stattfand. „Die danach im Lager am Drewitzer Bahnhof informierten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter vertrieben die Wachmannschaften und die am Bahnhof Drewitz stehenden deutschen Truppen und besetzten die dort aufgebaute zweite Panzersperre, bis die ersten sowjetischen Panzer eintrafen“. (Helle Sterne in dunkler Nacht, S. 116). In anderer Quelle heißt es dazu, dass die ca. 150 Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter bei Orenstein & Koppel den Volkssturm und ihre Sicherheitsposten entwaffneten und ein weiteres Panzerhindernis am Bahnhof beseitigten. (Geschichte der Landesparteiorganisation Brandenburg der SED 1945-1952, S. 17)

Mit dieser Aktion konnten schließlich die in den Mittagsstunden des 24. April anrollenden Panzer der Roten Armee Babelsberg kampflos einnehmen. Eine weitere Rolle für die kampflose Einnahme Babelsbergs werden die Flugblätter, im Besonderen das zweite der NKFD-Gruppe um Lehnert gewesen sein, in der gefordert wurde, weiße Fahnen bereit zu halten. Auch Helga Bornstädt berichtete selbst bei Veranstaltungen, dass sie als Kind die Erinnerungen hatte, dass in der Großbeerenstraße viele weiße Fahnen aus den Fenstern hingen. Diese weißen Fahnen, die eben dargestellten Aktionen und der nicht vorhandene Widerstand sorgten dafür, dass außer im Park Babelsberg, keine Kampfhandlungen stattfanden und in Babelsberg die Panzer ohne Gefechtshandlungen die Großbeerenstraße in Richtung Teltower Vorstadt bis an die Havel fuhren. 

Augenzeugen berichten, dass die sowjetischen Panzer in das alte Nowawes – so auch in die Kleine Straße – vordrangen, um so Gefechtsstellungen einzunehmen, die es ihnen ermöglichten, über die Havel nach Potsdam zu schießen, da sich dort immer noch SS-Verbände verschanzt hatten. Auch soll der gebürtige Nowaweser und Maler Werner Nerlich, der als Wehrmachtssoldat am 02.01.1943 zur Roten Armee überlief und dann seit Juli 1944 als Frontbeauftragter des NKFD bei der 1. Belorussischen Front, im April 1945 in der Uniform der Roten Armee unter den Befreiern in Babelsberg gewesen sein.

Trotz der weitgehend kampflosen Einnahme Babelsbergs hatte sich Wehrmachtseinheiten am Griebnitzsee und in Teilen des Park Babelsberg verschanzt. Nicht nur wurde in Klein Glienicke die Enver-Pascher-Brücke (wie auch die Lange Brücke und die Glienicker Brücke in Potsdam) von der Wehrmacht gesprengt, sondern auch sinnloser Widerstand 5 nach 12 geleistet. Dabei fand auch der stadtbekannte Nowaweser Kommunist Hermann Deinert den Tod. Nach der Befreiung schildert seine Frau das Geschehen wie folgt: „Am 20.4.1945, dem Tag der Befreiung Babelsbergs durch die Rote Armee geht er in seinen Garten in der Laubenkolonie „Freie Scholle“, um seine Tiere zu füttern. Später bezeugen Gartennachbarn, dass sie ihn auf einem LKW der Roten Armee die Allee nach Glienicke hinauf fuhren sahen. Es ist zu vermuten, dass er als ortskundiger Kommunist, Rotarmisten den Weg zum Park zeigte, da es dort noch heftigen Widerstand von faschistischen Einheiten gab. Einen Tag später wird er tot aufgefunden.“ (Landeshauptarchiv Brandenburg, VdN-Akte)