100 Jahre Stadtrecht Nowawes

Am 13. Dezember 1924 entschied das Preußische Staatsministerium:

„Verordnung.

Der Landgemeinde Nowawes im Kreis Teltow wird hierdurch die Annahme der Städteordnung

gestattet.

Berlin, den 13. Dezember 1924.

Das Preußische Staatministerium.

Gez. Braun. Gez. Severing.“ [1]

In der Landgemeinde Nowawes gab es schon seit Anfang der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts ein großes Interesse, das Stadtrecht zu erlangen. Der Ort zählte inzwischen über 26.000 Einwohner, war mit teilweise großen Industriebetrieben ausgestattet und wies einen städtischen Charakter auf. Insofern war der Wunsch von vielen Nowawesern und ansässigen Parteien nachvollziehbar. Andererseits warnten auch Gegner einer Stadtwerdung. Die Verwaltung würde nach ihrer Ansicht größer und aufwendiger als die bisherige Gemeindeverwaltung werden. Sie konnten sich jedoch mit ihren Einwänden jedoch nicht durchsetzen. Am 19. Dezember 1923 beschloss die Gemeindevertretung die Annahme der Städteordnung, bereits zuvor wurde das Thema ausgiebig in der Etatsitzung am 9. Mai 1923 und auch eine Vorlage zur Stadtwerdung zur Besprechung in der Gemeindesitzung am 20. Juni desselben Jahres diskutiert. [2]

Damit war Nowawes allerdings noch längst keine Stadt. Der Beschluss bedurfte eben der Bestätigung durch das Preußische Innenministerium, und hierzu wurden in der Regel Stellungnahmen des Kreistags sowie des Provinziallandtags eingeholt. [3] Die Gemeindevertreter um Bürgermeister Rosenthal wussten, dass der Kreis in dieser Angelegenheit eher zurückhaltend, wenn nicht ablehnend reagieren würde. Vor noch nicht vier Jahren hatte der Kreis Teltow durch die Bildung von Groß-Berlin einen nicht unwesentlichen Teil seiner Einwohnerzahl und damit 80% seiner Steuereinnahmen verloren. Wenn jetzt auch noch die große Gemeinde Nowawes aus dem Kreis ausscheren würde, dann wäre dies ein weiterer Verlust. Die Schaffung von Groß-Berlin am 1. Oktober 1920 ist eines der bedeutsamsten Ereignisse in der Geschichte Berlins, und prägt die politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Stadt bis in die Gegenwart hinein. Seit den Eingliederungen ist die Stadt Berlin in ihren administrativen Neuordnungen bis heute nicht wesentlich verändert worden. Der Kreis Teltow verlor jedoch wesentliches Gebiet, und daher waren die Ängste bezüglich eines Ausscherens von Nowawes aus seiner Sicht durchaus nachvollziehbar.

Also wandte man sich gleichzeitig an den Provinziallandtag, der in dieser Angelegenheit keine eigenen Interessen hatte. Am 28. März befürwortete der Provinzialausschuss den Antrag der Gemeinde Nowawes. Anschließend wurde die Angelegenheit zuständigkeitshalber an den Regierungspräsidenten in Potsdam weitergeleitet. So hieß es in einer Zeitungsnotiz aus dem Teltower Kreisblatt Nr. 77 vom 28.03.1924: „Der Provinzial-Ausschuß der Provinz Brandenburg hat sich in seiner Sitzung vom 28. März einstimmig dafür ausgesprochen, daß der Gemeinde Nowawes die Stadtrechte verliehen werden.“ [4] Bereits einen Tag zuvor berichtete die „Potsdamer Tageszeitung“ darüber. Eine Klausel gab es hingegen, so durfte die neue Stadt Nowawes nicht aus dem Kreis Teltow austreten. Dies besagte eine Zuschrift in der „Potsdamer Tageszeitung“ vom 31.03.1924. [5]

Doch auch im Nachhinein gab es lebhafte Diskussionen über ein Für und Wider der Stadtwerdung von Nowawes. So hielt der als Gast anwesende Bürgermeister a.D. Winkelmann bei der Monatsversammlung des Vereins für Handel und Gewerbe im Eisenbahnhotel, eine einflussreiche Institution in Nowawes, einen Vortrag über die Stadtwerdung und versuchte die Gerüchte, über eine Verteuerung der Verwaltung mit der Städteordnung zu zerstreuen. Er legte die Vorteile dar und erklärte, dass die Verwaltungsausschüsse schon teils städtischen Charakter hätten. „Die Stadt würde Mitglied des Städtetages werden und vermehrten Nachdruck auf größere Sachen legen. Der Stadt räume man größeren Kredit ein“, so Redner Winkelmann. [6] Vor allem aus bürgerlichen und deutschnationalen Kreisen gab es jedoch weiterhin Widerstand gegen eine Stadtwerdung.

So ist der „Potsdamer Tageszeitung“ vom 21.08. 1924 zu entnehmen, dass in der Gemeindevertretersitzung im Rathaussaal am Mittwoch, dem 20. August 1924, im Tagesordnungspunkt 3 lebhafte Diskussionen zur Erlangung der Stadtrechte geführt wurden. „Die deutschnationale Fraktion wünscht sich darin Aufhebung des am 19. September 1922 von der damaligen Gemeindevertretung gefaßten Beschlusses auf Beantragung der Stadtrechte für Nowawes und Zurückziehung des daraufhin an die zuständigen Behörden gerichteten Antrages.“ Argumentiert wurde unter anderem mit der alten Städteordnung, die noch aus dem Jahr 1808 galt. Eine neue Landgemeinde- und Städteordnung wäre aber in Planung, nur wisse man noch nicht, wie diese aussehen würde. [7]

Auch der Kreistag beriet über den Antrag zur Nowaweser Stadtwerdung. Der Nowaweser bürgerliche Abgeordnete Nathan sprach sich dagegen aus. er argumentierte mit den hohen Kosten und mahnte zur Sparsamkeit. Dem hielt der sozialdemokratische Abgeordnete Rose entgegen, dass im Falle einer Ablehnung durch den Kreis wohl die Tendenzen einer Vereinigung von Nowawes mit Potsdam zunehmen würden. Bei der Abstimmung ergab sich Stimmengleichheit, und damit war der Antrag abgelehnt. Die Dinge nahmen aber trotzdem ihren Lauf. Vor allem der unermüdliche persönliche Einsatz des Bürgermeisters Rosenthal und seine hervorragenden Kontakte nach Potsdam und Berlin wirkten sich positiv aus. [8] Nachdem sich die Gemeindevertretung Nowawes verpflichtet hatte, nicht aus dem Kreis Teltow auszutreten beschloss am 13. Dezember 1924 endlich das Preußische Staatsministerium die Stadtwerdung.

Warum die Tageszeitungen erst im Januar über den positiven Beschluss zur Stadtwerdung von Nowawes berichteten, lässt sich vermutlich mit den Feiertagen zu Weihnachten und Neujahr erklären. Jedenfalls berichtete die „Potsdamer Tageszeitung“ erst am 6. Januar 1925 in einer kurzen Mitteilung darüber:

„Stadt Nowawes.

Amtlich wird mitgeteilt:

Durch Verordnung des Staatsministeriums vom 13. September 1924 ist der Landgemeinde auf ihren Antrag die Annahme der Städteordnung gestattet worden.

Nowawes verbleibt, was ja schon während der Verhandlungen als notwendig bezeichnet wurde; auch nach der Stadtverordnung im Kreise Teltow. Die Stadtverordnetenwahlen sollen dem Vernehmen nach recht bald vorgenommen werden; sie sind etwas in der letzten Hälfte des Februars zu erwarten“, so die Potsdamer Tageszeitung. [9]

Dass in der Potsdamer Tageszeitung vom 13. September die Rede ist, kann auf einen Fehler zurückzuführen sein. Der Beschluss erging durch die Regierung tatsächlich am 13. Dezember 1924, was auch dem Amtsblatt für den Regierungsbezirk Potsdam und der Stadt Berlin zu entnehmen ist. In der Ausgabe A, Stück 2, vom 10. Januar 1925 ist unter dem Punkt 47 „Annahme der Städteordnung durch die Landgemeinde Nowawes“ ein Vermerk hinterlegt. [10]

Wie sich die Menschen in der „jüngsten preußischen Stadt“ Nowawes gefühlt haben, beschreibt ein Artikel von Max Caro im Lokalanzeiger vom 13. Januar 1925: „Nowawes ist Stadt geworden, vom Rathaus wehte die schwarzrotgelbe Fahne und in der städtischen Verwaltung ist Freude und Wohlgefallen. Die Ortsbewohner nehmen die Beförderung von Dörflern zu Städtern mit schönem Gleichmut hin. Sie fühlen sich zwischen Berlin und Potsdam ohnehin längst als Großstädter und glauben, auf den neuen Titel verzichten zu können, der sie möglicherweise noch mehr Steuern kostet. Immerhin ist die Aufregung über diese Frage, die ehedem als große politische Nummer aufgezogen wurde, stark abgeebbt. `Es geht auch so!´ erklärte mir ein Rufer im Streit, der gegen die Stadtwerdung vernehmlich seinerzeit die Stimme erhoben hatte.

Und weiter: „Die alte Webersiedlung hat sich im Laufe der Jahre fein herausgemacht. Wer heute nach Nowawes kommt, freut sich teilnahmsvoll der keinen alten Weberhäuschen, die so verträumt und müde an den Straßen Iehnen und am liebsten einschlafen möchten. Sie haben so viel im Wandel der Jahre erlebt, aber sie dürfen nicht zur Ruhe kommen. Denn die Eisenbahn an der Weltverkehrsstrecke donnert Tag und Nacht an ihren Fenstern vorüber; auch bringt die nahe Nachbarschaft von Berlin und Potsdam täglich scharenweise die fleißigen Arbeiter und Angestellten heran, die hier das tägliche Brot verdienen. Dieses kleine Weberdorf ist ein großmächtiger Fabrikort, eine Industriestadt von Rang geworden. Viele Fabrikationszweige sind hier vertreten, die großen Schornsteine puffen unablässig weiße Wolken in die Luft, die Maschinen laufen und schnurren den ganzen Tag. (…) Der große industrielle Aufschwung der Ortschaft ließ viele Arbeiter hier seßhaft werden. Es ist daher nur natürlich, daß diese das zahlenmäßige Übergewicht in der Gemeinde erlangten. So kam im Dezember 1923, nachdem die Einwohnerzahl 25000 überschritten hatte, der Beschluß zustande, die städtische Verfassung bei der Staatsregierung nachzusuchen.“ [11]

Unter dem Titel „Nowawes die jüngste Stadt Deutschlands“ sollte Anfang des Jahres 1925 auch ein Stadtfilm entstehen. Die produzierende Filmfirma und der Magistrat der neuen Stadt Nowawes wollten in ihm nicht nur Industrieaufnahmen zeigen, sondern besonders auch das Schöne an der Stadt. Geplant war ein erster historischer Teil über die alten Lebensverhältnisse in Nowawes und Neuendorf und schließlich im zweiten Teil der Übergang zu den neuen Fabriken. Ebenso sollten die neueren öffentlichen Gebäude im Film präsentiert werden, darunter zum Beispiel die Schulneubauten. Eine Abrundung des Films plante man durch Landschaftsbilder, z. B. der Nuthewiesen, aber auch durch Aufnahmen der Umgebung und der Villen am Griebnitzsee. [12]

Doch neben der Freude, die jüngste Stadt geworden zu sein – unter anderem gab es eine 100-Jahresfeier der Bürgerressource mit einem Festabend -, musste auch der politische Alltag organisiert werden. So standen recht schnell die ersten Stadtwahlen in Nowawes an. Denn durch die Verleihung der Stadtrechte an die bisherige Landgemeinde Nowawes mussten die Einwohner von Nowawes erneut in kurzer Zeit an die Wahlurne gerufen werden, um ihre Stadtverordnetenversammlung zu wählen. Zu den Neuwahlen zur Stadtverordnetenversammlung konnten die Bürger von Nowawes in zehn Stimmbezirken mit ihren Wahllokalen von 9 bis 18 Uhr ihr Stimmrecht wahrnehmen. (Potsdamer Tageszeitung vom 13.02.1925; Stadt- und Landesbibliothek Potsdam) In ihrer letzten Sitzung als Gemeindevertretung am 7.Januar 1925 wurde durch Bürgermeister Rosenthal die Urkunde über die Verleihung des Stadtrechts öffentlich verlesen. Ein weiterer Beschuss der Sitzung: statt 36 Gemeindevertreter wird die künftige Stadtverordnetenversammlung 32 Mitglieder haben. [13]

Der sozialdemokratische „Vorwärts“ vom 22.02.1925, aber auch die „Potsdamer Tageszeitung“ berichteten in jenen Wochen und Monaten, dass ein Wahlkampf von bisher nicht gekannter Schärfe zwischen den Parteien geführt wurde. Am 22. Februar 1925, 10 Monate nach der letzten Wahl der Gemeindevertretung am 04.05.1924, fanden dann in Nowawes die Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung statt. Die Mehrheitsverhältnisse zwischen den bürgerlichen Parteien wie DNVP (Deutschnationale Volkspartei) und den linken Kräften (SPD und KPD) hatten sich mit dieser Wahl, gemessen an der Anzahl der Sitze, nicht verändert. [14]

Bei den Wahlen zur Gemeindevertretung Nowawes hatten laut „Potsdamer Volksblatt“, die Deutschnationalen 4584 Stimmen (13 Sitze), die Sozialdemokraten 4067 Stimmen (12 Sitze), der Wirtschaftliche Bürgerblock 1881 Stimmen (5 Sitze), die Kommunisten 1808 Stimmen (5 Sitze) und die Deutsch-Völkische Freiheitspartei 553 Stimmen (1 Sitz) erlangt. Bei den ersten Wahlen zur neuen Stadtverordnetenversammlung am 22.Mai 1925 erreichten laut „Vorwärts“ die konservative Bürgervereinigung 4870 Stimmen und 14 Sitze, die SPD 4667 Stimmen und 13 Sitze, die KPD 1183 Stimmen und 3 Sitze sowie die DDP 870 Stimmen und 2 Sitze.

Obwohl die Bürgerliche Vereinigung faktisch eine Mehrheit besaß, ging bei der ersten Sitzung der neuen Stadtverordnetenversammlung der Posten des Vorstehers der Stadtverordnetenversammlung an den Sozialdemokraten Paul Fleischmann. Das konnte geschehen, weil sich in der Abstimmung Demokraten und Sozialdemokraten einigten und die Kommunisten sich der Stimme enthielten. Zu Mitgliedern des neuen Magistrates werden gewählt:

– Erster Bürgermeister Walter Rosenthal (DDP)

– Zweiter Bürgermeister Dr. Franz Litterscheid (SPD)

– Kämmerer Fritz Schmidt (DNVP),

– unbesoldeter Stadtrat Friedrich Hinrichs (DNVP)

– unbesoldeter Stadtrat Ernst Winkelmann (DVP)

– unbesoldeter Stadtrat Paul Kümmel (Wirtschaftspartei)

– unbesoldeter Stadtrat Albert Rose (SPD)

– unbesoldeter Stadtrat Bruno La Grange (SPD)

– unbesoldeter Stadtrat Max Singer (SPD)

– unbesoldeter Stadtrat Friedrich Kanitz (DDP).

Quellenhinweise:

[1] Teltower Kreisblatt; Stadtarchiv Potsdam, Bestand: G-XII_0003_Bl._35

[2] Potsdamer Tageszeitung vom 12.06.1924; Stadtarchiv Potsdam, Bestand: G-XII_0003_Bl._25_VS

[3] Keller; 2000: Zur Geschichte des Babelsberger Rathauses; S. 32

[4] Stadtarchiv Potsdam, Bestand: G-XII_0003_Bl._20

[5] Stadtarchiv Potsdam, Bestand: G-XII_0003_Bl._22

[6] Potsdamer Tageszeitung vom 24.05.1924; Stadtarchiv Potsdam, Bestand: G-XII_0003_Bl._23

[7] Stadtarchiv Potsdam, Bestand: G-XII_0003_Bl._1_u._5

[8] Keller; 2000: Zur Geschichte des Babelsberger Rathauses; S. 33-34

[9] Stadtarchiv Potsdam, Bestand: G-XII_0003_Bl._33

[10] Amtsblatt vom 10.01.1925, S. 23; Stadtarchiv Potsdam, Bestand: BB_02596_Amtsblatt_10.01.1925_S._19_u._23

[11] Lokalanzeiger vom 13. Januar 1925; Stadtarchiv Potsdam, Bestand: G-XII_0003_Bl._36

[12] Potsdamer Tageszeitung vom 16.02.1925; Stadtarchiv Potsdam, Bestand: G-XII_0003_Bl._37

[13] Vorwärts vom 08.01.1925; Historische Presse der deutschen Sozialdemokratie: https://collections.fes.de/historische-presse/periodical/titleinfo/144247

[14] LHP, Wahlen in Potsdam: https://www.potsdam.de/system/files/documents/Potsdam_Wahlen_histor.pdf